Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/86

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

etwas lendenlahmer Pegasus scheint auf der Frühkneipe im heimatlichen Kaisergarten recht lustige Sprünge ge­macht zu haben, wie denn Kötzschkes urkundliche Geschichte des Paulus ernsthaft berichtet, die Bierzeitung Richters habe die Leute so gereizt, daß sie Tränen lachen mußten.

Nicht so reich an Vergnügen, um so mehr aber an musi­kalischer Anregung waren die Fahrten, die wir unternahmen, wenn man uns zur Mitwirkung bei Tonkünstlerfesten einge­laden hatte. Ich bin zu solcher Veranstaltung mit in Halle gewesen, wo die herrschende Hitze die Aufführung in einen Gesang der Männer im feurigen Ofen verwandelte, nach dem wir erst bei einer lustigen Kahnfahrt auf der Saale wieder aufatmeten. Ein andermal in Altenburg hatten wir mit grausamer Kälte der Zuhörer, die allergnädigsten vom Prinzenraubschlosse nicht ausgenommen, zu kämpfen. Hier galt es ein neues Werk Felix Dräsekes, die Kantate Germania, aus der Taufe zu heben. Wir hatten uns mit seinen schwierigen Tonmalereien redlich herumgeplagt, aber trotz der ermunternden Anwesenheit seines Lehrers Franz Liszt erlebte der Tondichter mit dem sieghaften „Hurra Germania“ eine erschütternde Niederlage. Wie geistesabwesend sahen wir den Enttäuschten hinter der Rampe dem wegschwimmenden Lorbeer nach­starren. Damals war der junge Meister mit seiner Musik der Zeit vorausgeeilt, und als ich ein Menschenalter später mit ihm in persönliche Berührung trat, galt er vielen schon wieder als überlebt. Künstlers Erdenlos!

Neben den großen Fahrspritzen gingen kleine Fuß­spritzen munter einher. Fast jeden Sonntag nachmittag rückten wir unter dem Gesange der „Wandervögel“ in stattlicher Schar nach einem der „Bierdörfer“ in der näheren oder weiteren Umgebung der Stadt aus, nach Gohlis oder Eutritzsch, Wahren oder Böhlitz-Ehrenberg, Lindenau, Connewitz oder sonst einem Punkte des berühmten Leipziger Schlachtfeldes. Wenn wir da im Garten des Gasthofes unsere Lieder erklingen

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/86&oldid=- (Version vom 4.6.2024)