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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/87

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ließen, sammelte sich bald eine dankbare Zuhörerschaft am Zaune, zwar ohne den feineren Kunstgeschmack und Wohl­geruch der Gewandhausbesucherinnen, aber frisch mitfühlend und von Kennerschaft unbeschwert genießend. Einmal aber lief es böse ab. Wir waren nach Zwenkau gefahren und im Gänsemarsch in das Städtchen eingezogen, dann hatten wir uns im Ratskeller niedergelassen, sangen Quartette und da­zwischen eine lustige Biersinfonie auf den Text: „Pump mir Moos und sei mein Freund“, worauf der Kantor des Ortes im Namen der anwesenden Bürger einen Trinkspruch auf den Paulus ausbrachte. Gegen Abend schlenderten wir in den Straßen herum. Einige hatten vor einer Schmiede unbefugt ein dort stehendes Wagenrad hin und her gerollt und dadurch den Zorn des Eigentümers erregt. Sofort war eine Menschen­menge zusammengelaufen und über die harmlosen Missetäter schimpfend hergefallen. Diese zogen sich unter Führung des tapferen Obmannes Max Schubert fechtend nach unserem Hauptquartier zurück und retteten sich hinter das schnell ge­schlossene Tor. Da ergab sich, daß einer der Kämpfer, die den Rückzug deckten, im letzten Augenblick einen tiefen Messerstich in den Rücken erhalten hatte. Sein Blut floß in Strömen. Draußen tobte die Volksmenge, suchte aber vergeblich in das Haus einzudringen. Die Rückkehr war uns abgeschnitten, wir mußten auf Strohlagern in der Ratskellerwirtschaft übernachten und zogen erst am anderen Morgen ab. Unser schwerverletzter Freund wurde von einem sofort herausgeeilten Professor der Medizin über die Lebensgefahr glücklich hinweg­gebracht, mußte aber wochenlang im Orte liegenbleiben. Den feigen Messerstecher konnte man in der gerichtlichen Unter­suchung nicht ermitteln. Die Nachricht von dem Überfall auf die Pauliner eilte durch alle Zeitungen. Zum Glück konnte ich meinem besorgten Bruder auf seine telegraphische Anfrage, ob ich verletzt sei, verneinend antworten. Das Vor­kommnis lieferte einen erschreckenden Beweis, wie tief bei der

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/87&oldid=- (Version vom 4.6.2024)