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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/90

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Jugend gedieh und sich sogar ins spätere Leben fortpflanzte, schien mir für die Wechselwirkung aller Stände, wie Fichte sie zur Verbesserung des Menschengeschlechts für notwendig erklärte, keine sehr günstigen Aussichten zu eröffnen.

Die Universität nahm ihren Sängerverein nur wenig in Anspruch. Bei ihren Gottesdiensten in der Paulinerkirche pflegte ein besonderer kleiner Kirchenchor an hohen Feiertagen eine Motette vorzutragen, den Aktus beim Rektorwechsel verschönten wir durch unsern Festgesang und beim Begräbnis von Professoren pflegten wir ein Beati mortui zu singen. Ich durfte mitwirken, zweien meiner Lehrer, Heinrich Wuttke und Friedrich Ritschl, den Scheidegruß zu bringen. Ein solcher Trauergesang für einen bedeutenden Mann stimmte mich immer feierlich; es war wie wenn der Chor der griechischen Tragödie das Schlußwort zu einem Heldenschicksal spräche. – Die Mitwirkung in den berühmten Gewandhauskonzerten unter Karl Reineckes Leitung machte uns mit manchem Meister­werke der Tonkunst bekannt, auch den großen Freudenchor in Beethovens neunter Sinfonie habe ich dort mitgesungen. Selbst in der Schauspielkunst sollte ich mich betätigen. Der Professor Schuster, ein junger Philosoph mit dichterischen Anwandlungen, ließ sein Trauerspiel Perpetua, das einen Stoff aus der Zeit der Christenverfolgungen behandelte, im Alten Theater aufführen. Ein von Langer vertonter Ge­fangenenchor wurde von Paulinern gesungen, andere dienten als Statisten. Auch ich hatte mich dazu gemeldet und stellte in Toga und phrygischer Mütze einen Mann aus dem Volke von Karthago vor. Wir hatten zu schreien: „Werft sie den Hunden vor! werft sie den Hunden vor!“ was freilich meinen Gefühlen gegenüber der reizenden Perpetua, die von Franziska Ellmenreich dargestellt wurde, durchaus zuwider lief. Wenn ich den Versicherungen der Vereinsbrüder Glauben schenken darf, hat mein Auftreten starken Eindruck auf die Zuschauer gemacht, wenigstens auf ihre Lachmuskeln, und das ist in

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Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/90&oldid=- (Version vom 4.6.2024)