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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

wo er aufgewachsen war und längere Zeit gelebt hat, so dass man etwa annehmen könnte, er sei von einer durch den fortwährenden Anblick solcher Greueltaten ziemlich abgestumpften Vorstellung des Schlimmen beherrscht gewesen. 189 Aber auch Furcht vor Menschen war es nicht, denn von dem ihm allein erteilten göttlichen Befehl wusste ja niemand; auch hatte sich kein allgemeines Unglück ereignet, dessen Abwendung durch die Opferung des ausgezeichneten Sohnes herbeigeführt [28 M.] werden sollte. 190 Oder trieb ihn das Verlangen nach dem Lob der Menge zu seiner Tat? was für ein Lob war denn in der Wüste zu erlangen, da doch niemand zugegen war, der ihn hätte rühmen können, da er sogar die zwei Diener absichtlich in einiger Entfernung zurückgelassen hatte, damit es nicht den Anschein habe, als ob er prahlen und sich brüsten wolle, wenn er Zeugen seiner frommen Tat mitbrachte? [35] 191 Mögen sie also ihren zügellosen und schmähsüchtigen Mund verschliessen und ihren Neid und Hass gegen das Edle mässigen und nicht die Tugenden der Männer verunglimpfen, die trefflich gelebt haben und die darum durch Lob ausgezeichnet werden müssten. Dass jene Tat aber wirklich lobenswert und bewunderungswürdig ist, kann man aus vielen Umständen leicht ersehen. 192 Zunächst liess er sich den Gehorsam gegen Gott, der bei allen verständig denkenden Männern für wichtig und bedeutsam gilt, ganz besonders angelegen sein, so dass er jedes Gebot stets ohne Widerwillen und Missvergnügen beobachtete, selbst wenn es viel Mühe und Beschwerden brachte; daher ertrug er auch das, was ihm hinsichtlich seines Sohnes geboten war, sehr wacker und standhaft. 193 Und da es in seinem Vaterlande nicht, wie bei einigen Völkern, Sitte war Menschen zu opfern, ein Brauch, der durch längere Dauer die Vorstellung des Schrecklichen abzuschwächen pflegt, so sollte er zuerst mit einer ganz neuen und ungewöhnlichen Sache den Anfang machen, die meines Erachtens niemand auf sich genommen hätte, selbst wenn seine Seele mit Eisen oder Stahl gepanzert wäre; denn, wie einer sagt, „mit der Natur zu kämpfen ist eine schwere Aufgabe“[1]. 194 Einen echten Sohn hatte er erzeugt,

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/45&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
  1. Woher Philo dieses Zitat hat, ist nicht bekannt.