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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

nur diesen eben besass er, und echt war das Gefühl der Liebe zu ihm, es übertraf alle Beispiele von ernster Neigung und Freundschaft, die eine Berühmtheit erlangt haben. 195 Hinzu kam noch als mächtiger Beweggrund zur Liebe der Umstand, dass er den Sohn nicht im kräftigen Mannesalter, sondern im Greisenalter gezeugt hatte; denn in die spätgeborenen Kinder sind die Eltern beinahe rasend verliebt, entweder weil sie lange Zeit ihre Geburt ersehnt haben oder weil sie auf andere (Kinder) nicht mehr hoffen, da die Natur hier gleichsam an der äussersten und letzten Grenze Halt macht. 196 Dass nun jemand aus einer reichen Kinderschar eins Gott hingibt, gleichsam als ein Erstlingsopfer von Kindern, wäre nicht so widersinnig, da er in der Freude an den lebenden einigermassen Trost und Linderung findet für den Schmerz über das geopferte. Grösseres aber, als mit Worten ausgedrückt werden könnte, vollbringt einer, der den einzigen geliebten Sohn, den er hat, darbringt, da ein solcher sich nicht dem väterlichen Gefühl hingibt, sondern ganz und gar von der Liebe zu Gott leiten lässt. 197 Jene Tat ist also ganz aussergewöhnlich und ward eben nur von ihm (Abraham) vollbracht; denn wenn die anderen zur Rettung des Vaterlandes oder eines Heeres ihre Kinder hingeben, damit sie geopfert werden, bleiben sie entweder daheim oder stehen weit ab von den Altären oder wenden, wenn sie dabei sind, das Antlitz weg, weil sie es nicht mit ansehen können, wie andere die Opferung vollziehen. 198 Abraham aber begann wie ein Priester selbst die Opferhandlung, der zärtlichste Vater [29 M.] an dem in allem ausgezeichneten Sohne; vielleicht hätte er gar dem Opfergesetze gemäss (vgl. 3 Mos. 1,6 u. ö.) bei der Opferung seinen Sohn in Stücke zergliedert. So neigte er nicht auf der einen Seite zu seinem Sohne, auf der andern zur Frömmigkeit, sondern ganz und gar weihte er seine Seele der Heiligkeit und kümmerte sich dabei wenig um das verwandtschaftliche Blut. 199 Was hat also das (von Abraham) Gesagte mit den andern zu tun? was ist hier nicht ausserordentlich und über jedes Lob erhaben? Daher kann wenigstens der nicht von Natur Neidische und Boshafte die überaus grosse Frömmigkeit anstaunen und bewundern

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/46&oldid=- (Version vom 11.5.2019)