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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

Zunge,[1] durch den der Fluß der Rede strömt, wenn sie hervorzukommen beginnt. 34 Die Rede aber gebrauchen einerseits solche, die die Tugend hassen und die Affekte lieben, um schändliche Ansichten vorzutragen, sowie andererseits die Guten, um diese zu bekämpfen und die besseren und wahrhaft guten (Ansichten) unanfechtbar zu bekräftigen. 35 Als sie aber, nachdem sie sämtliche Segel der Streitlehren aufgesetzt haben, von der Redeflut der Gegner gestürzt zugrunde gegangen sind, stellt der Weise den allerheiligsten Chor auf und stimmt nach Recht und Gebühr das Siegeslied wohltönend an. 36 „Es sah“ – heißt es nämlich – „Israel die Ägypter“ nicht anderswo „tot“ als „am Strande des Flusses“ (2 Mos. 14, 30),[2] Als den Tod bezeichnet (der Gesetzgeber) nicht die Trennung des Körpers von der Seele, sondern den Untergang der gottlosen Lehrmeinungen und Worte, die sie (die Ägypter) gebrauchten mittels des Mundes, der Zunge wie der anderen Sprachorgane. 37 Der Untergang des Wortes aber ist das Schweigen, nicht jenes, das die Anständigen als Zeichen der sittlichen Scheu bewahren – denn auch das ist eine der Beredsamkeit verwandte Fähigkeit, das, was gesagt werden soll für den geeigneten Augenblick aufzuheben –, sondern das (Schweigen), welches die schlaff und matt gewordenen infolge der Wucht der Gegner unwillig bewahren, da sie keinen Stützpunkt mehr finden. 38 Denn was sie anfassen, zerfließt, und an was sie herantreten, das bleibt nicht auf derselben Stelle, sodaß sie fallen müssen, bevor sie Boden gefaßt haben, so wie es sich mit der Helix, der Wassermaschine, verhält.[3] Denn ganz in der Mitte sind Stufen vorhanden; wenn sie der Feldarbeiter besteigt, wenn er den Boden bewässern will, muß er herumgleiten. Damit er aber nicht zu oft falle, umfaßt er mit den Händen einen nahe angebrachten festen Gegenstand; indem er den festhält, läßt er den ganzen Körper herabhängen, (sodaß er) die Hände statt der Füße und die Füße statt der Hände gebraucht. Denn er hält sich auf den Händen, durch welche (sonst) die Arbeit zustande kommt, und arbeitet mit den Füßen, auf denen man naturgemäß steht. [11] 39 Viele dagegen, die es nicht vermochten, durch


  1. Die Lippe ein Zaun auch De somn. II § 262 (ἔρυμα καὶ φραγμός); Anklang an das Homerische ἕρκος ὀδόντων.
  2. Ungenau zitiert, denn es müßte heißen: am Strande des Meeres. Vgl. Do somn. II § 280. Wieder ist χεῖλος vorzugsweise als Lippe zu verstehen.
  3. Mit Helix ἕλιξ (eigentlich das Gewundene, mit Schrauben Versehene) bezeichnet man verschiedene Maschinen. Vgl. Stephanus Thesaurus 742A. Hier ist von einem Tretrad die Rede, das unserem Wasserrad ähnlich ist.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/013&oldid=- (Version vom 1.8.2018)