Zum Inhalt springen

Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/040

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

das eitle Wähnen predigt.[1] Unmöglich nämlich kann die im Leib „Empfangende“ fehlgebären, da die Frucht von dem, der den Samen spendet, bis zur Reife ausgetragen werden muß. Dagegen geschieht das bei der (im Leib) „Besitzenden“ häufig, da sie ohne die Möglichkeit zu einer ärztlichen Beihilfe von der Krankheit ergriffen wird.[2]

[25] 139 Glaube nicht, daß die Worte: „Als sie sah, daß sie ein Kind im Leibe trug“ (1 Mos. 16, 4), besagen, daß Hagar ihre Schwangerschaft selber bemerkte. Vielmehr beziehen sie sich auf ihre Herrin Sarah. Denn später sagt auch diese Sarah von sich: „Als ich sah, daß sie ein Kind im Leibe trug, wurde ich von ihr entehrt“ (ebd. 5)[3]. Weswegen? 140 Weil die praktischen Fertigkeiten mittleren Ranges[4] die ihnen gemäßen Dinge, mit denen sie schwanger gehen, zwar sehen, aber doch getrübt erblicken, während die Wissenschaft diese klar und ganz deutlich erkennt. Die Wissenschaft ist nämlich mehr als eine praktische Fertigkeit, da sie die Merkmale: „sicher“ und „unumstößlich durch die Vernunft“ mehr hat. 141 Denn die Definition der praktischen Fertigkeit lautet folgendermaßen: sie ist ein System von Begriffen, die gemeinsam für einen nutzbringenden Zweck verwandt werden; dabei wird das Wort „nutzbringend“ der Definition mit Recht hinzugefügt, um die schlechten Fertigkeiten auszuschließen. Die Wissenschaft wird dagegen definiert als ein sicheres und festes Begreifen, das durch die Vernunft nicht widerlegt werden kann[5]. 142 Musik, Grammatik und die verwandten Gegenstände nennen wir Fertigkeiten – daher auch diejenigen, welche sich in ihnen vervollkommnet haben, Kunstfertige in der Musik und Grammatik heißen –, Philosophie aber und die anderen Tugenden nennen wir Wissenschaften und diejenigen, die sie besitzen, Wissenschaftler. [540 M.] Denn sie sind einsichtsvoll, verständig und weisheitsliebend, und keiner von ihnen irrt in den Lehren der von ihm gründlich erlernten

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/040&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. S. o. § 130ff.
  2. Die Krankheit ist die Sophistik, der Arzt der wahre Philosoph. [Man kann auch übersetzen: da sie von einer Krankheit ergriffen ist, für die es keinen Arzt gibt. M. A.]
  3. Vgl. quaest. in Gen. III § 22.
  4. Die μέσαι τέχναι (stoischer Begriff, s. Arnim StVF. III 505 = Philo Über die Opfer Abels und Kains § 115 u. ö.) sind die Fähigkeiten des Körpers. Vgl. § 155 Anm. 1.
  5. Beide Definitionen sind stoischer Herkunft, vgl. Arnim StVF. I 73, II 90ff. S. Über die Trunkenheit § 88 Anm. 4.