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Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/046

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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

erleidet und der Tugendbeflissene hinwiederum dem Überfall der Feinde entkommt und unerwartet mit Macht errettet wird, da lobpreist er Gott, den gerechten und wahren Kampfrichter, indem er den geziemendsten und dem glücklichen Ereignisse angemessensten Gesang anhebt: „Roß und Reiter schleuderte er ins Meer“ (2 Mos. 15, 1), das heißt den Geist, der auf den vernunftlosen Regungen der vierfüßigen und zügellosen Leidenschaft einherreitet,[1] vernichtete er und ward zum Helfer und Beschirmer der sehenden Seele, so daß er sie mit der völligen Rettung begnadete.[2] 112 Derselbe[3] hebt auch beim Brunnen ein Lied an, aber nicht mehr bloß ob der Niederringung der Leidenschaften, sondern auch, weil er die Kraft aufbrachte, das herrlichste aller Besitztümer unentwindbar zu gewinnen, die Weisheit, die er mit einem Brunnen vergleicht; denn tief ist sie und nicht oberflächlich und läßt den Seelen, die (nach ihr) dürsten, das süße Naß des Edlen und Guten [375 M.] hervorquellen, den nötigsten und zugleich angenehmsten Trunk. 113 Keinem Laien in der Bildung ist es aber verstattet, diesen Brunnen zu graben, sondern bloß Königen;[4] denn es steht geschrieben: „die Steine aus ihm brachen Könige aus“ (4 Mos. 21, 16–18); die Aufgabe nämlich, die Weisheit auszuforschen und zu bewältigen,[5] haben große Führer, freilich nicht


  1. Die allegorische Ausdeutung des Bibelverses dahin, daß „das tugendfeindliche, leidenschaftliche Denkvermögen auf der unbändig-störrischen Vierfüßlerschar der Aufwallungen“ (Ü. d. Landwirtsch. 83) reite, ermöglichte dem Philo der griech. Ausdruck ἐποχεῖσθαι, der zugleich besagt, daß die unvernünftigen Triebe von dem Geist des Tugendfeindes Besitz nehmen, er sich also auf sie stütze und von ihnen besessen (ἔποχος) sei. Die vierfüßige Leidenschaft sind die stoischen vier Affekte: Lust, Gier, Schmerz und Furcht.
  2. Durch die Ausrottung der Leidenschaften wird der stoischen Forderung nach der ἀπάθεια, der Freiheit von Affekten, Genüge getan, die die Voraussetzung zum Glücke bildet, Alleg. Erkl. II 102 (vgl. 104).
  3. Nicht Moses, wie hier Philo sagt, sondern eigentlich das Volk Israel (4 Mos. 21, 17), oder die Gott Liebenden (Leben Mos. I 255. De somn. II 270).
  4. Nach der Lehre der Stoiker ist der Weise allein König, er allein besitzt Wissen, ist von Irrtum und Trug frei, ihm allein verschafft seine Vernunft die Herrschaft über die Affekte; die Laien in der Bildung, φαῦλοι (ἀπαίδευτοι), sind unwissend, schlecht, unglücklich und toll. Doch vgl. auch Cicero De fin. V 74 digna regibus.
  5. Im griechischen Verbum κατεργάσασθαι liegt ein Doppelsinn: „verarbeiten“ und „bezwingen“; die erstere Bedeutung paßt auf den Brunnenbau der Könige, die letztere wird in den Ausdrücken ὑπηγμένων und κατηγονισμένων fortgesetzt. Im Deutschen entspricht dem Doppelsinn halbwegs: „bewältigen“.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/046&oldid=- (Version vom 21.5.2018)