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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

du noch nie bemerkt, wie der Nacken der Taube[1] in den Sonnenstrahlen tausend Farben in wechselnden Abstufungen spielt? Oder nimmt er nicht eine purpurrote und dunkelblaue, feuerfarbene und dann wieder kohlenartige, ferner eine blasse und rote und sonst alle möglichen Farben an, die auch nur mit der richtigen Benennung wiederzugeben, schwer fällt? 174 Man erzählt aber auch, bei den Skythen, die [384 M.] Geloer heißen, komme selten zwar, aber es komme doch das höchst sonderbare Tier vor, das Tarandros[2] genannt wird, dem an Größe nicht viel zu einem Ochsen fehle, das aber in der Gesichtsbildung am ehesten einem Hirsche ähnele; das Gerücht behauptet, dieses verändere seine Behaarung jeweils nach den Plätzen und den Bäumen, mit einem Worte nach allem, in dessen Nähe es träte, so daß es wegen der Ähnlichkeit der Farbe von den Leuten, die mit ihm zusammentreffen, nicht bemerkt werde und dadurch mehr als durch seine Körperstärke schwer zu erjagen sei.[3] 175 Dieses und dergleichen sind doch sicher klare Beweise für die Unerfaßbarkeit der Dinge in Vorstellungen, [43] ferner aber auch die bunten Verschiedenheiten, nicht mehr der Lebewesen im allgemeinen, sondern auch im besonderen die der Menschen[4] untereinander in jeder Beziehung. 176 Denn nicht nur beurteilen sie[5] dieselben


  1. Dies Beispiel führt Sextus Empir. (Pyrrh. Hyp. I § 120) im 5. τρόπος an; Aenesidem hat es wahrscheinlich auch dort eingereiht; denn schon vor ihm haben die Skeptiker, wie Cicero Lucullus 7 § 19 zu beweisen scheint, es mit dem scheinbar gebrochenen Ruder zusammengestellt, das auch bei Philo in dem τρόπος erwähnt wird, der dem fünften bei Sext. Empir. entspricht.
  2. Bei Aristoteles, Theophrast, Antigonus ἱστ. παραδ. συναγωγή XXV, Aelian, περί ζῷων II 16, Stephanus Byzantius, s. v. Γελωνός, und Eustathius ad Dionys. Per. 310 lautet der Name des Tieres Tarandos. – Dieser in der Literatur der παράδοξα und θαυμάσια sehr verbreitete Bericht scheint in der Fassung, wie er uns bei Philo vorliegt, auf Theophrast zurückzugehen (vgl. M. Adler, Bemerkungen zu Philos Schrift Περὶ μέθης, Wiener Studien XLIII 95f.). Aristoteles, der das Wundertier auch kennt (Valentin Rose, Aristotelis frg. Nr. 371), schildert es anders. Auch bei Cäsar, Bell. Gall. VI 26, 1, wird es erwähnt.
  3. In der Paradoxographie sind Chamäleon, Polyp und Tarandros miteinander verbunden. Hier unterbricht Philo diesen traditionellen Zusammenhang durch das Beispiel von der Taube. Auch das spricht dafür, daß die in Anm. 1 hervorgehobene Abweichung von Sext. Emp. nicht Aenesidem, sondern Philo zur Last zu legen sein wird.
  4. Das ist Aenesidems zweiter τρόπος.
  5. Wendlands Vorschlag, οἱ αὐτοί als Subjekt des Satzes einzusetzen, suche ich (Wiener Studien XLV 245f.) zu widerlegen und die Überlieferung zu verteidigen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/062&oldid=- (Version vom 21.5.2018)