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Lebendigsein ein unvergängliches Leben ein und wandern aus der gewordenen Welt in die ungewordene hinüber. Von ihnen wird nämlich mit symbolischer Bezeichnung der Unvergänglichkeit gesagt, daß sie angesichts des Herrn starben (3 Mos. 10, 2), das bedeutet: lebendig wurden; denn es wäre nicht recht, daß ein Toter vor das Angesicht Gottes käme.[1] Dasselbe bedeuten auch die Worte des Herrn: „durch die, die sich mir nahen, will ich geheiligt werden“ (3 Mos. 10,3); „Tote aber“, heißt es in den Psalmen, „sollen den Herrn nicht loben“[2] (Ps. 113, 25); denn das ist die Aufgabe von Lebenden. – 60 Kain dagegen, der schuldbefleckte Brudermörder, begegnet nirgends im Gesetz als Sterbender,[3] vielmehr ist über ihn sogar das Wort offenbart: „Gott der Herr versah Kain mit einem Zeichen, damit ihn nicht jeder, der ihn fände, tötete“ (1 Mos. 4, 15). 61 Weshalb? Weil, glaube ich, die Gottlosigkeit ein unsterbliches Übel ist, das, einmal entzündet, niemals wieder zum Erlöschen gebracht werden kann, wie auch das Dichterwort von der Schlechtigkeit richtig sagt: „Denn nicht sterblich ist jene, sie ist ein unsterbliches Übel“;[4] unsterblich nämlich in diesem unserem Leben; denn im Vergleich mit dem Leben in Gott ist sie seelenlos, tot und „wertloser als Mist“, wie ein Weiser gesagt hat.[5] [12] 62 Es war aber ganz notwendig, daß den beiden verschiedenen Dingen verschiedene Plätze angewiesen wurden, dem Guten der Himmel, dem Schlechten die irdischen Regionen. Daher steigt auch das Gute nach oben, und wenn es auch einmal zu uns gekommen ist – sein Vater ist ja gebefreudig – strebt es nach Gebühr zurückzueilen; das Schlechte dagegen bleibt hier, in der weitesten Entfernung vom göttlichen Reigen angesiedelt; es verweilt im sterblichen Leben und kann nicht aus


  1. Über Nadab und Abiud vgl. o. Bd. IV S. 70 Anm. 1.
  2. Gemeint ist natürlich „loben nicht“ = können nicht loben. Aber dies Urgieren des futurischen Charakters des hebr. Imperfekts findet sich auch in der vom Urtext ausgehenden Aggada nicht selten. I. H.
  3. Also, meint Philo, ist er nicht gestorben. Vgl. § 202, wo auch aus der Nichterwähnung einer Sache in der Bibel ihr Nichtvorhandensein gefolgert wird. Auch dies argumentum ex silentio (scripturae) entspricht aggadischer Methode. I. H.
  4. Hom. Od. 12, 118 (nach Voß), von Philo auch Über die Nachstellungen § 178 (vgl. die Anm. zu dieser Stelle) und (in etwas anderer Weise) Quaest. in Gen. I § 76 wie hier bei der Auslegung von 1 Mos. 4, 15 angeführt.
  5. Heraklit fr. 96 Diels. [Schon vor dem Homerzitat klingen Philos Worte ἐξαπτόμενον καὶ μηδέποτε σβεσθῆναι δυνάμενον an Heraklit an, fr. 30 Diels. Μ. A.]
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/020&oldid=- (Version vom 21.5.2018)