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dem Menschengeschlecht hinwegsterben. 63 Mit herrlichen Worten hat dies einer von denen, die wegen ihrer Weisheit bewundert werden, ein berühmter Mann, in seinem Theätet ausgesprochen[1]: „Weder vermag das Schlechte zu vergehen – denn es ist notwendig, daß es stets ein dem Guten Entgegengesetztes gibt – noch kann es im Bezirk des Göttlichen wohnen,[2] sondern es hält sich im Bereich der sterblichen Natur an diesem (Erden)ort auf. Deshalb muß man auch versuchen, von hier nach dort so schnell als möglich zu fliehen. Fliehen bedeutet aber: Gott so sehr als möglich gleich werden, Gott gleich werden: mit Einsicht gerecht und fromm werden.“[3] 64 Es ist mithin richtig, daß Kain nicht stirbt, das Symbol der Schlechtigkeit, die in dem sterblichen Geschlecht bei den Menschen immer lebendig sein muß. Die Schrift hat also aus den dargelegten Gründen gar nicht unpassend gesagt, daß der Mörder „des Todes sterbe“. [13] 65 Die Worte ferner über die unabsichtlichen Mörder: „Wenn er ohne Absicht mordet, und Gott (das Opfer) in seine Hand gegeben hat“, sind sehr treffend.[4] Denn die Schrift ist der Ansicht, daß die absichtlichen Handlungen unserm eigenen Willen, die unabsichtlichen dem Willen Gottes entspringen. Ich meine damit aber nicht Verfehlungen, sondern im Gegenteil alle Handlungen, welche die Bestrafung von Verfehlungen darstellen. [556 M.] 66 Denn für Gott als den ersten und besten Gesetzgeber ziemt es sich nicht zu strafen, und so straft er nicht selbst, sondern mittels anderer, die seine Gehilfen sind. Denn es gebührt sich, daß Gott wohl seine Gaben, seine Geschenke und Wohltaten selbst darreicht, da er von Natur gut ist und das Schenken liebt, seine Strafen dagegen, zwar nicht ohne seinen Auftrag – da er ja König ist –, aber doch durch andere, die zu einem derartigen Dienst geeignet sind, ausführen läßt. 67 Der Asket bestätigt meine Behauptung in den Worten der Schrift: „Der Gott, der mich seit meiner Jugend ernährt, der Engel, der mich rettet aus allen Übeln“ (1 Mos. 48, 15. 16). Denn (die Schrift) schreibt


  1. Plato Theaet. p. 176a sq.
  2. In der Beurteilung der Abweichungen der Philoüberlieferung vom Platotext an dieser Stelle sind wir Wendlands Ausgabe gefolgt.
  3. Die Lehre, für die hier Plato als Gewährsmann zitiert wird, daß das Schlechte als notwendiger Gegensatz des Guten auf der Welt sei, kennt auch die Stoa; vgl. P. Barth, Philos. Abhandlungen für Max Heinze S. 22.
  4. Mit dem Folgenden vgl. Philos Abhandlung „Über den unabsichtlichen Mord“, De spec. leg. III § 120–136 und Heinemann, Philons Bildung 383ff.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/021&oldid=- (Version vom 21.5.2018)