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Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/047

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tränkte das ganze Antlitz der Erde“ (2 Mos. 2, 6).[1] 179 Diejenigen nun, die in die Allegorie und in die Natur, die sich gern zu verbergen pflegt, nicht eingeweiht sind, beziehen die hier genannte Quelle auf den Strom in Ägypten, der jedes Jahr durch seine Überschwemmungen die Ebene bewässert und eine Kraft zu beweisen scheint, die es fast dem Himmel gleichtut. 180 Denn was im Winter der Himmel für die übrigen Länder ist, das ist im Hochsommer für Ägypten der Nil. Während nämlich (der Himmel) den Regen von oben auf die Erde niedersendet, bewässert der Nil die Fluren mit einem Regen, der von unten nach oben strömt, eine höchst naturwidrige Erscheinung. Das war auch für Moses der Anlaß, die ägyptische Denkart als gottlos zu bezeichnen, da sie der Erde vor dem Himmel, dem Irdischen vor dem Göttlichen und dem Körper vor der Seele den Vorzug gibt. 181 Wir werden bei passender Gelegenheit darauf noch einmal zurückkommen; für jetzt müssen wir, da man sich bestreben muß, nicht weitschweifig zu werden, uns der allegorischen Erklärung wieder zuwenden und feststellen, daß die Worte: eine Quelle steige empor und tränke das ganze Antlitz der Erde, folgendes bedeuten: 182 unser leitendes Organ läßt, einer Quelle vergleichbar, viele Kräfte gleichsam durch Erdadern emporströmen und entsendet sie bis zu den Sinneswerkzeugen: Augen, Ohren, Nase und den übrigen Organen; diese befinden sich bei jedem Lebewesen am Kopf und im Gesicht. Mithin wird von dem leitenden Teil in der Seele gleichwie aus einer Quelle der leitende Teil des Körpers, das Gesicht, getränkt, indem jener das Pneuma des Gesichtssinnes bis zu den Augen, das des Gehörs bis zum Ohr, bis zu den Nasenlöchern das des Geruchsinnes, das des Geschmacks wieder bis zum Munde und das des Tastsinnes bis an die gesamte Körperoberfläche sich erstrecken läßt. [33] 183 Es gibt aber ferner auch die vielfältigen Quellen der Bildung, neben denen aufrecht[2] und nahrungspendend Gedanken gleich Palmstämmen emporgesprossen sind. Denn es heißt: „Sie kamen nach Ailim und bei Ailim waren zwölf Wasserquellen und siebzig Palmstämme; sie lagerten sich dort nebenden Wassern“ (2 Mos. 15, 27). Ailim bedeutet „Tore“[3] und bezeichnet symbolisch den Eingang zur


  1. Vgl. All. Erkl. I § 28 mit Anm. [Statt אֵד‎ das wohl „Dunst“ bedeutet, gibt LXX πηγή. Jedenfalls verstehen sich auch die Gegner der Allegoristik zu recht freier Auslegung. I. H.]
  2. Der Doppelsinn von ὀρθός, aufrecht in die Höhe gewachsen und richtig, mit dem Philo spielt, läßt sich in der Übersetzung nicht wiedergeben. Μ. A.
  3. Philo bringt אֵלִים‎ mit אֶל‎ „zu etwas hin“ zusammen. I. H.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/047&oldid=- (Version vom 21.5.2018)