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Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/049

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Tugend davontragen, dagegen die noch im vorbereitenden Unterricht Befindlichen, die ja nach Belehrung dürsten, sich bei den Wissenschaften niederlassen, die ihre Seelen zu netzen und zu tränken vermögen. [34] 188 Dieser Art sind die Quellen der mittleren Bildung. Nun wollen wir die Quelle des Unverstandes betrachten, über die der Gesetzgeber sich folgendermaßen geäußert hat: „Wenn einer bei einem Weibe schläft, das seine Absonderung hat, und ihre Quelle aufdeckt, und sie den Fluß ihres Blutes selbst aufdeckt, so sollen sie beide getötet werden“ (3 Mos. 20, 18). Unter dem Weibe versteht er die Sinnlichkeit, als deren Mann ihm der Geist gilt.[1] 189 Die Sinnlichkeit ‘hat’ nun ‘ihre Absonderung’, das heißt: läßt sich abgesondert nieder, wenn sie den Geist, ihren rechtmäßigen Mann, verläßt, sich bei den verführerischen und verderblichen Sinnendingen niederläßt und ein jedes in Liebe umschlingt. Wenn sich in diesem Augenblick, wo er hätte wach bleiben müssen, der Geist dem Schlafe hingibt, so entblößt er die Quelle der Sinnlichkeit, nämlich sich selbst – denn kein anderer als der Geist ist ja, wie ich schon sagte, die Quelle der Sinnlichkeit –, das aber bedeutet: er versetzt sich selbst in einen ungeschützten, unbewehrten und Angriffen ausgesetzten Zustand. 190 Indes auch sie „entblößte den Fluß ihres Blutes“. Denn die Wahrnehmung, die ganz und gar nach dem außen befindlichen Sinnending hinströmt, wird bedeckt und eingeschränkt, solange sie vom Geist festgehalten wird, bleibt jedoch schutzlos zurück, sobald sie ihres rechten Führers beraubt wird; wie aber für die Stadt Mauerlosigkeit, ist für die Seele Unbewachtheit das ärgste Übel. 191 Wann wird sie nun unbewacht? Gewiß dann, wenn unbeschützt der Gesichtssinn sich zu den sichtbaren Dingen hin ergießt, unbeschützt das Gehör sich mit allen Lauten füllen läßt, wenn unbeschützt die Geruchsorgane und die verwandten Kräfte zurückgelassen werden, dem Erleiden[2] völlig preisgegeben, in das die Angreifer sie versetzen wollen, unbeschützt schließlich auch das Sprachorgan zurückbleibt, das unzählige verbotene Dinge zur Unrechten Zeit ausschwatzt, da niemand seinen [575 M.] Fluß hemmt: so strömt es ungehindert einher und bringt hohe Lebensvorsätze, die gleich Schiffen bei ruhiger See aufrecht


  1. Wie Philo im 2. und 3. Buch der Allegorischen Erklärungen ausführt, ist Adam das Symbol des Geistes, Eva das der Sinnlichkeit.
  2. Das Erleben durch Empfindung und Wahrnehmung ist für den Griechen ein Eindruck, den das Bewußtsein erleidet, und πάσχειν die gebräuchliche Bezeichnung dafür. Μ. A.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/049&oldid=- (Version vom 21.5.2018)