Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt | |
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Gott erhört sein Gebet – denn ihm gefiel seine Liebe zur Tugend und sein Hass gegen das Laster – und er verhängte, dem Wesen der Gottheit gemäss, nach kurzer Frist das Strafgericht über das Land. 48 Aber während dies Gottesgericht zu erwarten stand, lag Moses in hartem Ringen den Aufgaben der Tugend ob, wobei er als Lehrerin in seinem Innern die edle Vernunft hatte, von der zu den edelsten Arten der Lebensführung, der beschaulichen und der werktätigen[1], vorbereitet er in emsiger Arbeit sich mühte, immerfort die Lehren der Philosophie zu überdenken, sie mit der Seele richtig zu erkennen und im Gedächtnis unvergesslich zu bewahren, das eigene immer rühmliche Tun nach ihnen einzurichten und nicht nach dem Scheine, sondern nach der Wahrheit zu streben; denn ihm schwebte nur ein Ziel vor, das Leben nach der rechten Stimme der Natur[2], die allein Anfang und Quelle der Tugenden ist. 49 Ein anderer, der auf der Flucht vor dem unversöhnlichen Zorn eines Königs eben das erste Mal in ein fremdes Land kommt, hätte, mit den Sitten der Bewohner noch nicht vertraut und ohne gründliche Kenntnis dessen, was sie erfreut oder entfremdet, sich bemüht, in aller Stille von der Menge unbemerkt im Dunkel zu leben oder, wenn er in die Oeffentlichkeit hinaustreten wollte, die Mächtigen und Einflussreichsten in heissem Werben sich freundlich zu stimmen, von denen irgend welcher Nutzen und Beistand zu erwarten war, falls man käme und ihn gewaltsam abzuführen versuchte. 50 Er aber schlug den entgegengesetzten Weg ein, den gesunden Trieben seiner Seele folgend und ihrer keinen straucheln lassend, weshalb er auch zuweilen grössere jugendliche Leidenschaft
- ↑ βίος θεωρητικός und βίος πρακτικός, ein beliebtes Thema der Peripatetiker und Stoiker, sind die Ziele, welche besonders die Stoiker für ihre Jünger anstreben (vgl. Philo de praem. et poen. § 11. 51).
- ↑ Der ὀρθὸς λόγος der stoischen Philosophie; vgl. was Philo von dem λόγος φύσεως z. B. de Josepho § 29 sagt, der gebietet, was man tun, und verbietet, was man lassen soll; ebendaselbst § 31 heisst er wie hier auch ὀρθὸς λόγος φύσεως. Nach den Stoikern ist der ὀρθὸς λόγος (Diog. La. VII 88) das objektive Gesetz der Natur, der menschlichen wie der des Universums, ὁ νόμος ὁ κοινὸς ὅσπερ ἐστὶν ὁ ὀρθὸς λόγος, ὁ διὰ πάντων ἐρχόμενος, ὁ αὐτὸς ὢν τῷ Διί, die Richtschnur für den Weisen.
Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloMos1GermanBadt.djvu/019&oldid=- (Version vom 1.8.2018)