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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

Dies Geschick aber haben alle Wißbegierigen gemeinsam, denen zu alten Erkenntnissen neue aufgehen und aufleuchten, da die Seele, wenn sie nicht ganz unfruchtbar ist, vieles zur Welt bringt, vieles aber auch die Natur, ohne daß sie es vorher zu erkennen gibt, von selbst denen, die einen scharfsichtigen Geist besitzen, offenbart. Daß also der Brunnen der Erkenntnis so etwas wie eine Grenze und ein Ende nicht besitze, ist hiermit bewiesen. 12 Warum er aber ein „Eid“ genannt wurde (1 Mos. 26, 33), das ist jetzt zu erklären. Durch einen Eid werden zweifelhafte Dinge entschieden, wird das Unsichere befestigt und das, was nicht glaubhaft ist, erlangt Glauben. Daraus folgt auch, daß einem nichts so fest verbürgt wird wie die Tatsache, daß alles, was zur Weisheit gehört, unbegrenzbar und unbeendbar (endlos) ist. 13 Schön wäre es nun, wenn man auch einem, der, ohne zu schwören, hierüber handelt, beistimmen würde; wer aber nicht allzu sehr zur Zustimmung bereit ist, der muß zustimmen, wenn einer geschworen hat. Niemand aber soll sich dem Schwören eines solchen Eides entziehen[1]; denn er weiß genau, daß er in die Liste derer eingeschrieben werden wird, die ihren Eid halten. [3] 14 Doch nun genug hiervon. Als Nächstes wäre zu erwägen, warum von den vier Brunnen, die von den Leuten Abrahams und Isaaks gegraben wurden (1 Mos. 21, 25. 26, 19–23), der vierte und letzte ein „Eid“ genannt wurde. 15 Wollte er damit nicht durch eine Allegorie zeigen, daß es im Weltall vier Elemente gibt, aus denen diese unsere Welt besteht, und in uns selbst ebensoviele, aus denen wir gebildet und in die Form einer Menschengestalt geprägt wurden, und daß drei irgendwie erkannt werden können, das vierte aber allen Beurteilern unerkennbar ist? 16 In der Welt nun gibt es im ganzen die vier Elemente: Erde, Wasser, Luft und Himmel. Von ihnen werden alle anderen (außer dem Himmel) für etwas schwer Findbares, aber doch nicht gänzlich Unentdeckbares erachtet. 17 Denn an der Erde nehmen wir doch wahr, daß sie ein schwerer, unauflösbarer, fester Körper ist, der in Gebirge und ebene Länder geteilt und durch Flüsse und das Meer zerlegt wird, so daß die einen Teile Inseln, die anderen Festländer bilden und ein Teil von ihr leichter, ein anderer schwerer Boden, der eine rauh, hart, steinig und ganz unfruchtbar, der andere glatt, weich und sehr fruchtbar ist, [623 M.] und noch vieles andere dazu. 18 Und andererseits vom Wasser wissen wir,


  1. Im allgemeinen soll man nach Philo den Eid vermeiden: vgl. namentlich Über den Dekalog 84.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/14&oldid=- (Version vom 3.6.2018)