Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler | |
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[636 M.] Die Vorschrift gleicht nämlich mehr einer erläuternden Bestimmung als einer Ermahnung.[1] Als Mahnung nämlich hätte man gesagt: Gib das als Pfand genommene Gewand, wenn es das einzige ist, was der Schuldner hat, vor dem Abend wieder, damit er in der Nacht etwas habe, sich zu bekleiden, als Erläuterung aber so, wie es hier steht: „Denn dies ist seine einzige Decke, dies ist das Kleid seiner Scham; worin soll er sonst schlafen“ (2 Mos. 22, 27)? [17] 102 Dies und dergleichen sei gesagt gegen die Sophisten, die sich um den wörtlichen Sinn mühen und die allzu bedenklich die Augenbrauen hochgezogen haben; wir aber, die wir den Regeln der allegorischen Deutung folgen, wollen das Angemessene darüber sagen. Wir behaupten nun, daß das Gewand ein Symbol des Logos ist. Die Schäden nämlich, die durch Kälte und Hitze über den Körper hereinzubrechen pflegen, hält ein Kleid zurück, und es verhüllt die Geheimnisse der Natur, und ein Umhang ist außerdem ein dem Körper geziemender Schmuck. 103 Zu ähnlichem Zwecke jedoch wurde auch die Sprache (Logos) dem Menschen als schönste Gabe von Gott gegeben, erstens als Verteidigungswaffe gegen die Aufrührer gegen ihn – denn wie die Natur jedes andere Tier durch eigene Schutzvorrichtungen sicherte, durch die es den zurückweisen kann, der ihm Böses zu tun versucht, gab sie auch dem Menschen als größte Stütze und als Schutz ein unüberwindbares Wort, das er kräftig wie eine ganze Waffenrüstung ergreift und als vertrauten und von der Natur ihm verbundenen Begleiter mit sich führen soll; braucht er es als Verteidigungsmittel, so wird er den von seinen Feinden drohenden Schaden abwehren können –, 104 zweitens als nötigste Bedeckung für seine Scham und Schande – denn außerordentlich gut eignet sich das Wort dazu, die Sünden der Menschen zu verbergen und zu verhüllen –·, drittens zum Schmuck des ganzen Lebens; denn was einen jeden bessert und alles zum besseren hinausführt, ist das Wort. 105 Es gibt aber auch Schandbuben und Unglücksmenschen, die das Wort als Pfand behalten, nachdem sie es den Eigentümern weggenommen haben, und die es, obgleich sie es wachsen lassen müßten, ganz für sich abschneiden, so wie die vorgehen, die Feindesland verwüsten und das Getreide und alle andere Frucht zu vernichten versuchen, die, stehen gelassen, für alle, die sie brauchen wollten, ein großer Nutzen gewesen wäre.
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/32&oldid=- (Version vom 7.10.2018)