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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

„Fürchte dich nicht“ (1 Mos. 28, 13). Denn wie sollten wir uns noch fürchten, wenn wir als die befreiende Waffe von der Furcht und von allem Leid dich haben, unseren Schutzschild? der du auch [647 M.] die unsichtbaren Vorbilder unserer Erziehung Gestalt gewinnen ließest, damit sie in die Erscheinung traten, dadurch daß du Abraham belehrtest und Isaak zeugtest. Denn du ließest es geschehen, daß du des einen Lehrer, des anderen Vater[1] genannt wurdest, weil du jenem den Rang eines Schülers, diesem den eines Sohnes einräumtest. 174 Deshalb versprichst du auch, du werdest das Land geben, ich meine die an Ertrag reichste und fruchtbarste Tugend, auf dem der Tugendkämpfer schläft (1 Mos. 28, 13) und sich ausruht, dadurch daß er im Leben der Sinnlichkeit schläft, in dem der Seele aber wacht; du billigst damit seine friedliche Ruhe, die er nicht ohne Kampf und Kampfesmühen erwählte, nicht als Waffenträger und Menschentöter, nein, sondern als Vernichter der der Tugend feindlichen Scharen von Leidenschaften und Schlechtigkeiten. 175 Das Geschlecht der Weisheit aber wird mit dem „Sande der Erde“ (ebd. 14) verglichen wegen seiner unbeschreiblichen Menge, und weil die vorspringende Sandbank die Anstürme des Meeres hemmt, die auf Bildung beruhende Vernunft aber die der Sünden und Verbrechen. Denn diese breitet sich, den göttlichen Verheißungen entsprechend, bis zu den Grenzen des Weltalls aus und erklärt ihren Träger als den, der die Teile der Welt als sein Erbteil erloste, da er überall hin vordringt, nach Osten und Westen, Süden und Norden. Es heißt nämlich: „Du sollst ausgebreitet werden gegen Norden und Süden, Mitternacht und Morgen“ (ebd. 14). 176 Es ist aber der Weise nicht nur sein eigenes, sondern auch das allgemeine Gut für alle, und bereitwillig reicht er den von ihm ausgehenden Vorteil dar. Denn wie die Sonne Licht ist für alle, die Augen haben, so auch der Weise für alle, die an der vernünftigen Natur teilhaben; [29] „denn es sollen gesegnet werden in dir“, heißt es, „alle Völker“ (ebd. 14). 177 Dieser Spruch bezieht sich sowohl auf jeden einzelnen in seinem Verhältnis zu sich selbst wie auf den Menschen im Verhältnis zu seinem Nebenmenschen. Denn wenn der Geist in mir durch vollkommene Tugend geläutert wurde, werden auch die „Völker“[2] des Irdischen um mich her mitgeläutert, die die Sinne sich erlost haben und das größte


  1. Vgl. All. Erkl. III 219.
  2. Gemeint sind mit den „Völkern“ die körperlichen Dinge, die auf die Sinne wirken und vom Körper wie von einem Gefäß aufgenommen werden.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/46&oldid=- (Version vom 7.10.2018)