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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

und sprach: Gewiß ist der Herr an diesem Ort, ich aber wußte es nicht“ (ebd. 16). Und es war besser, möchte ich hinzufügen, das nicht zu wissen, als zu glauben, Gott sei an irgendeinem Orte, der doch selbst alles im Umkreise umfaßt.

[32] 184 Mit Recht fürchtete er sich nun und sprach mit Entsetzen: „Wie furchtbar ist dieser Ort“ (ebd. 17). Denn in der Tat ist von allem, was in der Naturforschung behandelt wird, die Stelle die schwierigste, an der untersucht wird, wo und ob überhaupt das Seiende an einem Orte ist, da die einen sagen, daß alles, was existiert, einen Raum einnimmt, und die einen ihm diesen, die anderen ihm jenen zuerteilen, entweder einen innerhalb der Welt oder eine Art zwischenweltlichen[1] außerhalb der Welt, während die anderen erklären, daß das Ungewordene keinem Dinge innerhalb der Schöpfung ähnlich sei, sondern sie in allem überrage, so daß auch der schnellste Geist weit hinter seiner Erfassung zurückbleibe und seine Ohnmacht eingestehe. 185 Deshalb rief er auch alsbald aus: „Es ist nicht so“ (ebd. 17) wie ich glaubte, „daß der Herr an irgendeinem Orte ist“ (ebd. 16);[2] denn er umfaßt alles, wird aber nach der wahren Lehre nicht umfaßt. Das aber, was ihm gezeigt wird und was sichtbar ist, diese unsere sinnlich wahrnehmbare Welt, ist also „nichts anderes als das Haus Gottes“ (ebd.), nämlich das Haus einer der Kräfte des Seienden, durch die er gut ist.[3] 186 Die Welt aber nannte er ein Haus und eine Pforte des wahren Himmels (ebd. 17). Was soll das heißen? Die aus den Ideen bestehende geistige Welt, die in die sinnliche eingeprägt wurde durch Gnade,[4] [649 M.] kann nicht anders erkannt werden als durch Ausgehen von dieser sinnlich wahrnehmbaren und sichtbaren. 187 Denn man kann sich auch nichts anderes Unkörperliches vorstellen, wenn man nicht von den Körpern ausgeht. Dadurch daß man von ruhenden (Körpern) ausging, kam man zum Begriff des Raumes, von bewegten zu dem der Zeit, zu Punkten, Linien, Flächen und überhaupt Grenzen dadurch, daß man von der äußersten Schicht ausging, die wie ein Kleid um sie herum liegt. 188 Dementsprechend wurde nun auch die geistige Welt von der sinnlich wahrnehmbaren


  1. Die Epikureer lehrten, daß die Götter sich in den Intermundien, den Räumen zwischen den Welten, aufhielten, vgl. Usener, Epicurea 240, 33.
  2. Philo verbindet die Worte, mit denen Vers 17 beginnt, mit dem vorausgehenden Vers und liest hier statt ἐν τῷ τόπῳ jetzt: ἔν τῳ τόπῳ.
  3. Vgl. oben § 163.
  4. Der Text ist unsicher; ich folge Wendlands Konjektur.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/48&oldid=- (Version vom 7.10.2018)