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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

Kommen und Gehen und die Bewegungen hinauf und hinab und überall hin, wobei sie diese ganze Übersicht von Ausdrücken nicht gibt, um der Wahrheit zu dienen, sondern zum Nutzen der Lernenden. 236 Denn es gibt Leute, deren ganze Naturanlagen so stumpf sind, daß sie Gott ohne einen Körper sich überhaupt nicht denken können. Auf ihren Geist kann man unmöglich anders als auf die Art und Weise wirken, daß man sagt: Gott kommt und geht wie ein Mensch, kommt herab und geht wieder hinauf, bedient sich einer Stimme, hat einen Widerwillen gegen die Sünder, ist unerbittlich in seinem Zorn und hält Pfeile, Schwerter und alle anderen zur Bestrafung geeigneten Werkzeuge bereit gegen die Frevler. 237 Man muß nämlich schon damit zufrieden sein, wenn sie durch die hiermit über sie verhängte Furcht zur Vernunft gebracht werden können. Und es gibt fast nur diese beiden Wege in der ganzen Gesetzgebung, den einen, der sich der Wahrheit zuneigt und durch den bekräftigt wird, „daß Gott nicht wie ein Mensch ist“ (4 Mos. 23, 19), und der andern, der sich den Vorstellungen der schwer Begreifenden zuneigt, zu denen gesagt wird: „Gott der Herr wird dich erziehen, wie ein Mensch seinen Sohn erziehen würde“ (5 Mos. 8, 5).[1] [41] 238 Was wundern wir uns also noch, wenn er Engeln gleicht, da er doch auch menschenähnlich erscheint um der Unterstützung derer willen, die welche brauchen? Wenn er daher sagt: „Ich bin der Gott, der von dir gesehen wurde am Orte Gottes“ (1 Mos. 31, 13), so bedenke dann, daß er den Platz eines Engels einnahm, wenigstens dem Anschein nach, ohne sich zu verwandeln,[2] zum Nutzen dessen, der den wahren Gott noch nicht erblicken kann. 239 Denn wie diejenigen, die die Sonne nicht sehen können, den reflektierten Sonnenstrahl als Sonne ansehen und den Hof um den Mond, als wäre es dieser selbst, so nehmen sie auch das Abbild Gottes wahr, seinen Engel-Logos, als wäre es er selbst. 240 Merkst du nicht, daß Hagar, die Allgemeinbildung,[3] zu dem Engel sagt: „Bist du Gott, der mich sieht“ (1 Mos. 16, 13)?[4] Sie war nämlich nicht imstande, den ältesten Urgrund


  1. Vgl. hierzu Über die Unveränderlichkeit Gottes §§ 53ff.
  2. Auch die Worte οὐ μεταβάλλων enthalten eine Einschränkung der jüdischen Ablehnung jedes Anthropomorphismus (s. zu § 234). Vielleicht wenden sie sich gegen die Definition des Posidonius (Dox. 302 b 22), Gott sei denkendes, feuriges Pneuma, gestaltlos, aber sich beliebig wandelnd (μεταβάλλον εἰς ὃ βούλεται).
  3. Vgl. Über die Cherubim §§ 3 und 6. All. Erkl. III § 244.
  4. Vgl. Über die Flucht usw. § 211.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/59&oldid=- (Version vom 7.10.2018)