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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn

ausgesetzt muss er gehorsam und willig alles über sich ergehen lassen, Leiden einer unedlen und unmännlichen Seele; denn er sollte sie vielmehr ertragen, ihnen entgegentreten und sich ihnen entgegenstemmen, indem er seinen Geist kräftigt und festigt durch seine Standhaftigkeit und Ausdauer, diese mächtigen Tugenden. 79 Denn wie das Geschorenwerden doppelter Art sein kann, erstens so, dass man mit Gegendruck erwidert, zweitens so, dass man sich demütig unterwirft — dem Schaf wird, während es von sich aus nichts tut, sondern sich nur leidend verhält, das Fell oder das sogenannte Vliess geschoren; der Mensch aber wirkt (gewissermassen) mit, nimmt eine bestimmte Haltung ein, macht bereit und verknüpft so mit dem Leiden das Tun —, 80 ebenso auch das Geschlagenwerden: die eine Art trifft einen Sklaven, der Prügel verdient hat, oder einen Freien, der wegen eines Verbrechens auf die Folter gespannt wird, oder auch etwas Lebloses, wie Steine, Hölzer, Gold und Silber geschlagen werden und alle Stoffe, die in einem Schmiedewerk getrieben oder zerteilt werden; die andere trifft einen Fechter, der im Faustkampf oder Allkampf um Sieg und Bekränzung kämpft. 81 Dieser wehrt die gegen ihn geführten Schläge mit beiden Händen ab und wendet den Nacken hierhin und dorthin, um zu verhüten, dass er getroffen wird; oft auch tritt er mit den Fusszehenspitzen auf und erhebt sich zu voller Höhe, oder er krümmt sich umgekehrt zusammen und zwingt so den Gegner, die Hände ins Leere zu führen, sodass er etwas dem Schattenkampf Aehnliches vollführt. Der Sklave dagegen und das Erz tun nichts zur Abwehr und unterwerfen sieh, um alles zu erdulden, was der andere in solcher Lage an ihnen zu tun beabsichtigt. 82 Solche Behandlung wollen wir niemals dem Körper und noch viel weniger der Seele zuteil werden lassen, sondern die andere Art des Leidens — da der Sterbliche doch nun einmal leiden muss —, die mit Abwehr wählen, damit wir nicht wie Männer von weibischer Art zerbrochen und entkräftet hinsinken und mit [p. 154 M.] dem Verlust unserer Seelenkräfte ohnmächtig werden, sondern durch die Spannkraft des Geistes gestärkt die Wucht der uns drohenden Leiden zu mildern und zu erleichtern vermögen.

Empfohlene Zitierweise:
: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/026&oldid=- (Version vom 3.12.2016)