Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/015

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

die Allmacht Gottes nahte, durfte keiner der Teile der Welt [p. 188 M.] still stehen, alles musste zu seinem Dienste sich in Bewegung setzen. 45 Das Volk aber stand da in aller Reinheit, nachdem es bereits seit drei Tagen den Umgang mit den Frauen gemieden und auch sonst aller Lust ausser dem zur Ernährung Notwendigen entsagt, durch Bäder und Besprengungen sich gereinigt und die Kleider gewaschen hatte, meist in weiss gekleidet, wie auf Fussspitzen stehend und das Ohr gespannt, da Moses ihm die Weisung gegeben hatte, sich zu feierlicher Versammlung zu rüsten; denn er hatte erkannt, dass eine solche stattfinden müsse, wenn er, allein berufen, die Offenbarung empfing. 46 Eine Stimme ertönte darauf mitten aus dem vom Himmel herabkommenden Feuer, alle mit ehrfurchtsvollem Schrecken erfüllend, indem die Flamme sich zu artikulierten Lauten wandelte, die den Hörenden vertraut waren, wobei das Gesprochene so deutlich klang, dass man es eher zu sehen als zu hören glaubte. 47 Es bestätigt mir meine Behauptung die heil. Schrift, in der es heisst: „alles Volk sah die Stimme“ (2 Mos. 20,18); höchst bedeutsam, denn Menschenstimme ist zu hören, die Stimme Gottes aber ist in Wahrheit zu sehen; warum? weil es nicht Worte sind, was Gott redet, sondern Taten, die das Auge besser unterscheidet als das Ohr. 48 Besonders schön und trefflich aber wird berichtet, dass die Stimme aus dem Feuer hervorkam; denn geklärt und geläutert sind die Worte Gottes wie Gold im Feuer. Es deutet ferner symbolisch etwa folgendes an. 49 Da die Aufgabe des Feuers eine doppelte ist, zu leuchten und zu brennen, so werden die, die dem Gotteswort gehorsam sein wollen, wie in schattenlosem Licht alle Zeit wandeln und die Gesetze selbst als leuchtende Sterne in der Brust tragen; die ihm aber ungehorsam sind, werden ewig entflammt und verzehrt werden von den Begierden in ihrem Innern, die einem Feuer gleich das ganze Dasein derer, die sie beherrschen, zerstören werden[1].

50 (12.) Dieses ist es, was notwendig vorauszuschicken war. Wir haben uns nun zu den Gottesworten selber zu


  1. Aehnlich Mechilta zu 2 Mos. 19,18: das sagt, dass die Gotteslehre Feuer ist, aus dem Feuer gegeben ist und dem Feuer gleicht.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/015&oldid=- (Version vom 9.12.2016)