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Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/020

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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

einen grossen Schaden zugefügt haben[1]. 67 Denn die edelste Stütze des Seelenlebens haben sie damit abgehauen, [p. 192 M.] den für uns notwendigen Glauben an den ewig lebenden Gott, und so treiben sie wie schwankende Fahrzeuge ewig unruhig umher, bald hierhin bald dorthin, und können niemals in den Hafen einlaufen und ihren sichern Anker in der Wahrheit finden, weil sie blind sind gegen das, was des Schauens wert ist und worauf allein der Blick scharf gerichtet sein müsste. 68 Sie scheinen mir ein noch elenderes Dasein zu führen als die an den körperlichen Augen Gelähmten; denn diese sind doch ohne ihre Schuld verletzt worden, sie hatten entweder eine schwere Augenkrankheit zu bestehen oder wurden von Feinden hinterlistig angefallen, jene aber haben vorsätzlich ihr Geistesauge nicht bloss getrübt, sondern haben es geradezu wegwerfen wollen. 69 Deshalb gebührt den einen wie Unglücklichen Mitleid, die anderen aber trifft wie Elende gerechte Strafe, denn sie haben ausser anderem selbst das ganz Naheliegende nicht sehen wollen, was schon „ein unmündiges Kind erkennt“[2], dass nämlich der Bildner höher steht als das Gebilde, sowohl der Zeit nach — denn er ist älter und gewissermassen der Vater des verfertigten Werkes — als auch der Macht nach, denn das Wirkende ist doch ansehnlicher als das Leidende. 70 Sie hätten auch, wenn sie schon fehlgingen, die Maler und Bildhauer selber mit einem Uebermass von Ehren vergöttern sollen; statt dessen lassen sie diese unbeachtet und gewähren ihnen nichts besonderes, die von ihnen verfertigten Bildwerke und Malereien aber halten sie für Götter. 71 Und so sind die Künstler oftmals in Armut und ohne Ansehen geblieben, bis sie alt und grau geworden, und von anhaltenden Unglücksschlägen heimgesucht zuletzt darin gestorben, während die durch ihre Kunst hergestellten Werke mit Purpur und Gold und den anderen Kostbarkeiten, die der Reichtum liefert, verehrungsvoll geschmückt werden und ihr Dienst nicht bloss von


  1. Vgl. hierzu die ähnliche Schilderung und Widerlegung der verschiedenen Formen des Götzendienstes in dem Buche Weish. Salom. cap. 13, insbesondere V. 3ff. und V. 10ff.
  2. Sprichwörtliche Redensart im Griechischen (Homer Ilias XVII 32. Hesiod, Werke u. Tage 218).
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/020&oldid=- (Version vom 9.12.2016)