Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel | |
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sondern, wenn man die Wahrheit sagen soll, wird die Seele mehr noch als der Körper an Entfremdung gewöhnt, da sie in jeder Weise belehrt wird, sich von dem Ehemanne abzuwenden, ja ihn zu hassen. 125 Und die Sache wäre weniger schlimm, wenn der Hass sich offenkundig zeigte, denn vor der sichtbaren Gefahr vermag man sich leichter zu schützen; nun aber ist er schwer zu bemerken und schwer zu fassen, da er mit bübischen Künsten verheimlicht wird, manchmal gar noch im Gegenteil den Schein zärtlicher Zuneigung mit mancherlei Täuschung und Betrug zu erwecken sucht. 126 Ferner zerstört der Ehebruch drei Häuser[1], das des treulos behandelten Mannes, dem die Ehegelöbnisse verletzt und die Hoffnungen auf rechtmässige Nachkommenschaft zunichte gemacht werden, und zwei andere, das des Ehebrechers und das des Weibes; denn auch über diese beiden wird Schimpf und Schande und die grösste Schmach gebracht. 127 Ist vollends die Verwandtschaft infolge von Heiraten und vielseitigen Verbindungen sehr zahlreich, so wird der Frevel, gleichsam im Kreise herumgehend, gar die ganze Stadt berühren. [p. 202 M.] 128 Sehr schlimm ist dann auch die zweifelhafte Stellung der Kinder; denn wenn die Frau nicht ihre Ehre wahrt, ist es zweifelhaft und unklar, wer in Wahrheit der Vater der Sprösslinge ist. Wenn dann die Sache verborgen bleibt, verfälschen die im Ehebruch erzeugten Kinder, indem sie die Stelle von rechtmässigen sich aneignen, ein fremdes Geschlecht und werden noch ein vermeintlich väterliches Erbe, das ihnen aber in keiner Weise zukommt, empfangen. 129 Und der Ehebrecher, wenn er in frevelhafter Weise seiner Leidenschaft gefrönt und sein Gelüste befriedigt hat, geht dann davon und verlässt die Kinder, die er in Sünde erzeugt hat, und verlacht noch obendrein die Unkenntnis des betrogenen Mannes; dieser aber wird, da er wie ein Blinder nichts von dem weiss, was sich ihm ins Haus geschlichen, die von seinen ärgsten Feinden erzeugten Kinder wie die eigenen aufzuziehen genötigt sein. 130 Wird aber die Sache ruchbar, so werden die armen Kinder, die doch nichts Böses getan haben, tief unglücklich, da sie keinem Geschlecht zugezählt
- ↑ d. h. das Familienglück dreier Häuser.
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/033&oldid=- (Version vom 9.12.2016)