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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

sichtbare Götter sind[1], weil sie den Unerschaffenen nachahmen im Erzeugen von lebenden Wesen, nur dass jener Gott der Welt ist, diese aber bloss (die Götter) derer sind, die sie erzeugt haben. Unmöglich aber ist es, dass die Ehrfurcht haben vor dem Unsichtbaren, die denen die Ehrfurcht versagen, die sichtbar und ihnen nahe sind.

121 (24.) Mit diesem Gebot über die Ehrfurcht gegen Eltern schliesst er die eine Reihe von fünf Geboten, die sich mehr auf die Gottheit bezieht. Die andere Reihe, die die Verbote betreffend die Beziehungen zu den Menschen umfasst, beginnt der Gesetzgeber mit dem Verbot des Ehebruchs[2], weil er der Ansicht ist, dass dieser das grösste der Verbrechen ist. 122 Denn erstlich hat er zur Quelle die Wollust, die dem von ihr Ergriffenen den Körper aufreibt, die Spannkraft der Seele löst und das Vermögen zerrüttet: nach Art eines nicht zu löschenden Feuers verzehrt sie alles, was sie erfasst, und lässt nichts unversehrt von allem, was zum menschlichen Leben gehört. 123 Sodann veranlasst er den Ehebrecher nicht bloss allein zu sündigen, sondern auch andere zur Sünde mit zu verleiten und eine Gemeinschaft einzugehen, wo es keine Gemeinschaft geben sollte. Denn sobald einer von heftiger Leidenschaft ergriffen ist, kann unmöglich die Begierde durch einen allein befriedigt werden, es müssen durchaus zwei, von denen der eine die Rolle des Lehrers, der andere die des Jüngers übernimmt, zur Befriedigung zügelloser Wollust, dieses hässlichsten Lasters, sich verbinden. 124 Denn nicht einmal das lässt sich sagen, dass nur der Leib des Ehebruch begehenden Weibes geschändet wird,


  1. Die Vergleichung der Eltern mit den Göttern, insofern das Verhältnis der Eltern zu den Kindern als ähnlich dem Verhältnis der Gottheit zur Welt bezeichnet wird, ist in der griechischen Philospohie allgemein. Vgl. auch De spec. leg. II § 225. Die Bezeichnung der Eltern als Götter zweiten Ranges (δεύτεροι) oder als sichtbare oder irdische Götter (ἐμφανεῖς oder ἐπίγειοι θεοί) ist spezielle Ausdrucksweise der stoischen Popularphilosophie. Vgl. K. Praechter, Hierokles der Stoiker S. 45ff.
  2. Im Dekalog der Septuaginta, der Philo folgt, bildet abweichend vom hebräischen Urtext das Verbot des Ehebruchs das sechste Gebot und das Verbot der Tötung das siebente Gebot. Ob bei dieser Umstellung die Rücksicht auf ägyptische Verhältnisse mitgewirkt hat, ist zweifelhaft.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/032&oldid=- (Version vom 9.12.2016)