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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

zwar schickliche Dinge, denken aber und handeln entgegengesetzt und geben Falschem, vor Echtem den Vorzug, weil sie nur vom äusseren Scheine beherrscht werden und auf das wahrhaft Gute nicht bedacht sind. 60|Deshalb hat auch sonderbarer Weise dieser Eunuch ein Weib; denn der Pöbel wirbt um die Begierde, wie der Mann um das Weib; auf ihre Veranlassung redet und tut er alles und sie macht er zu seiner Ratgeberin in allen Dingen, erlaubten und unerlaubten, grossen und kleinen, während er auf die Ratschläge der Vernunft am wenigsten zu achten gewohnt ist. — 61|Sehr treffend nennt Moses ihn auch Oberküchenmeister; denn sowie der Koch für nichts anderes sorgt als für die unaufhörlichen und übertriebenen Gelüste des Leibes, ebenso begehrt der politische Pöbel nur das Vergnügen des Ohrenschmauses, durch das die Spannkraft des Geistes gelöst und p. 51 M. gewissermassen die Nerven der Seele zum Erschlaffen gebracht werden. 62|Wer kennt nicht den Unterschied zwischen Küchen und Aerzten? Diese bereiten mit aller Sorgfalt allein die zur Heilung dienenden Mittel, auch wenn sie nicht wohlschmeckend sind, die Köche dagegen nur die wohlschmeckenden Speisen, ohne sich um ihre Zuträglichkeit zu kümmern. 63|Aerzten gleichen nun die Gesetze eines Volkes und die nach den Gesetzen ihres Amtes waltenden Beamten, Ratsherren und Richter, die in unbestechlicher Weise auf das Gemeinwohl und die allgemeine Sicherheit bedacht sind, Köchen dagegen die vielköpfigen Massen der jüngeren Bürger; denn ihnen liegt nicht das Heil (des Staates) am Herzen, sondern nur wie sie ihre augenblicklichen Gelüste befriedigen sollen. 64|(13.) Die Sinnenlust der Volksmassen aber verlangt wie ein unzüchtiges Weib nach dem Staatsmann und spricht zu ihm: „Du da, komm doch zum Pöbel, mit dem ich verbunden bin, vergiss alle deine eigenen Sitten, Bestrebungen, Worte, Handlungen, in denen du erzogen wurdest; gehorche mir und liebe mich und tue alles, was mir gefällt. 65|Denn einen Mürrischen und Eigensinnigen, einen Wahrheitsfreund und Vertreter strengen Rechts, der in allen Dingen Ernst und Würde zeigt und in keinem Punkte nachgibt, der immer nur das Nützliche im Auge hat ohne Rücksicht auf die

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/019&oldid=- (Version vom 3.9.2017)