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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

mich nach dem besseren Teil, dem Geiste in mir, nach dem zu leben ich entschlossen bin, ohne viel Rücksicht auf den sterblichen Leib zu nehmen; wenn dieser, der nach Art einer Muschel mich umgibt, manche Unbill erleidet, so werde ich das, wenn er nur von den schlimmen Herren und Herrinnen im Innern frei ist, nicht übel empfinden, nachdem ich dem schlimmsten Zwange mich entzogen habe. 72|Wenn also zu richten ist, werde ich Recht sprechen, weder zu Gunsten eines Reichen wegen seines Reichtums, noch zu Gunsten eines Armen aus Mitleid über sein Missgeschick; ich werde alle Rücksicht auf Ansehen und Stellung der Abzuurteilenden beiseite lassen und ohne Arglist das Urteil sprechen, wie es mir gerecht scheinen wird. 73|Wenn ich im Rate sitze, werde ich nur gemeinnützige Anträge einbringen, auch wenn sie nicht gefallen sollten; und in der Volksversammlung werde ich die Schmeichelreden anderen überlassen und nur heilsame und nützliche Reden halten, werde tadeln, warnen, zur Besonnenheit ermahnen, nicht in unsinniger und verkehrter Anmassung, sondern mit nüchterner Freimütigkeit. 74|Wenn einer an solchen Ermahnungen zur Besserung keinen Gefallen findet, so mag er auch Eltern und Vormünder und Lehrer und alle Pfleger tadeln, dass sie ihre leiblichen Kinder und Verwaiste und Schüler schelten und bisweilen sogar schlagen; und doch darf man dies gewiss nicht als Beschimpfung und Misshandlung bezeichnen, sondern muss es im Gegenteil Liebe und Zuneigung nennen. 75|Es wäre auch ganz unwürdig, wenn ich, der Staatsmann, dem das Wohl des ganzen Volkes anvertraut ist, in der Erwägung des Nützlichen hinter einem, der die ärztliche Kunst ausübt, zurückbleiben würde. 76|Denn dieser kümmert sich nicht im geringsten um das hohe Ansehen des von ihm Behandelten, das er wegen seines Wohlstandes geniesst, weder darum dass er adlig oder sehr reich ist, noch dass er der berühmteste König oder Herrscher seiner Zeit ist; er hat nur das eine Ziel im Auge, ihm nach Kräften zu helfen, und wenn es nötig ist zu schneiden oder zu brennen, so brennt und schneidet er den Herrn und Gebieter, er, der Untertan und Diener heisst. 77|Ich aber, der ich nicht einen Mann, sondern

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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/021&oldid=- (Version vom 4.9.2017)