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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

die wir den bittenden und uns anflehenden Bruder mit Verachtung ansahen, der nichts verbrochen und nur seine Traumerscheinungen uns als seinen nächsten Verwandten berichtet hatte; darum haben wir brutale und rohe Menschen ihm p. 66 M. gezürnt und eine ruchlose Tat — so muss man sie wahrheitsgemäss nennen — an ihm verübt. 172|Deshalb müssen wir darauf gefasst sein, dies und noch Schlimmeres zu erleiden, nachdem wir, die wir allein beinahe von allen Menschen (mit Recht) wegen der ausgezeichneten Tugenden unserer Väter, Grossväter und Vorfahren Adlige genannt werden, diesen Adel[1] geschändet und eine offenkundige Schmach mit Absicht auf uns geladen haben“. 173|Der älteste der Brüder aber, der schon anfangs, als sie den Anschlag berieten, ihnen entgegengetreten war, sagte jetzt: „Unnütz ist die Reue über das, was einmal geschehen ist; ich ermahnte euch, ich flehte euch an, eurem Zorn nicht nachzugehen, indem ich darauf hinwies, wie gross die Freveltat sei; aber statt mir beizustimmen, folgtet ihr eurem unüberlegten Willen. 174|Deshalb erhalten wir jetzt den Lohn für unsere eigenwillige Ruchlosigkeit; untersucht wird jetzt der Anschlag, den wir damals gegen den Bruder ersonnen haben; der ihn aber untersucht, ist nicht ein Mensch, sondern Gott oder das göttliche Wort oder das göttliche Gesetz“. 175|(30.) Diese Reden vernahm der von ihnen verkaufte Bruder, als sie leise miteinander sprachen, weil ein Dolmetscher zugegen war; und überwältigt von seinen Gefühlen, da er nahe daran war in Tränen auszubrechen, wendet er sich weg, um sich nicht zu verraten[2], und vergiesst heisse Tränen. Nachdem er sich ein wenig erleichtert und sein Gesicht getrocknet hat, wendet er sich wieder zu ihnen und befiehlt, vor aller Augen den zweitältesten der Brüder zu fesseln, der ihm selbst


  1. εὐγένειαν, wie eine Handschrift hat, ist wohl der gewöhnlichen Lesart συγγένειαν vorzuziehen.
  2. Fast dieselben Worte gebraucht in der Wiedergabe der biblischen Erzählung (1 Mos. 42,24) Josephus Altert. II §109: „als Joseph die Brüder so ratlos sah, brach er, von seinen Gefühlen (überwältigt), in Tränen aus, und da er sich den Brüdern nicht verraten wollte, wandte er sich weg und kehrte erst nach einer Weile zu ihnen zurück“.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/040&oldid=- (Version vom 6.9.2017)