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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

die dem Tode oder vielmehr der Unsterblichkeit benachbart ist; er wird in Wahrheit ein schönes Alter haben und ein mit guten und zahlreichen Kindern gesegnetes Haus an seiner Stelle zurücklassen. 111 (19.) Dies ist es, was er mit der göttlichen Verheissung meint: „die Zahl deiner Tage wirst du voll machen“ (2 Mos. 23,26)[1], worin er richtige und passende Ausdrücke vortrefflich anwendet. Denn der Ungebildete und Gesetzlose kommt, wie man sagt, „weder in Zahl noch in Rechnung“[2]; wer aber Bildung und heilige Gesetze sich zu eigen macht, wird zuerst dadurch ausgezeichnet, dass er als ansehnlich und erprobt befunden wird und eine Zahl und einen Rang erhält. 112 Sehr schön ist auch der Ausdruck des „Vollmachens“ — nicht der Monate oder Jahre, sondern — „der Tage“, weil kein Tag des Weisen freien Raum lassen darf zum Eintritt der Sünde, sondern jeder in allen seinen Teilen und Zwischenräumen von tugendhaftem Handeln ausgefüllt sein muss; denn die Tugend und das sittlich Gute wird nicht nach der Quantität, sondern nach der Qualität beurteilt. Daher hält er auch einen gut vollbrachten Tag des Weisen für gleichwertig mit einem ganzen Leben <des Schlechten>[3]. 113 Dies deutet er auch an anderer Stelle an, wenn er sagt, dass ein solcher Mann gesegnet sein werde beim Eingang und beim Ausgang (5 Mos. 28,6), weil nämlich der Weise in allen seinen


  1. Philo hat hier seiner Auseinandersetzung zuliebe den Wortlaut des Zitats geändert, in der Bibel (auch LXX) heisst es: „ich werde vollmachen“. Richtig zitiert die Stelle Philo selbst Quaest. in Exod. II § 20.
  2. οὔτ’ ἐν λόγῳ οὔτ’ ἐν ἀριθμῷ war sprichwörtlicher Ausdruck.
  3. Die überlieferten Worte ἰσότιμον καλῷ βίῳ sind korrupt: in καλῷ βίῳ muss der Gegensatz zu σοφοῦ μίαν ἡμέραν κατορθουμένην ausgedrückt sein, d. h. das ganze Leben eines schlechten Menschen. Der Satz ist stoisch: vgl. Posidon. bei Seneca Epist. 78,28 unus dies hominum eruditorum plus patet quam imperitis longissima aetas. Cic. Tusc. V 2,5 est autem unus dies bene et ex praeceptis tuis actus peccanti immortalitati anteponendus. Vielleicht genügt es auch, καλῷ in ὅλῳ zu ändern: vgl. Seneca Epist. 74,27 honestam vitam ex centum annorum numero in quantum corripe et in unum diem coge: aeque honesta est. Philo Quaest. in Exod. II § 20 (Wendland, Neu entd. Fragm. Philos S. 98) τῷ γὰρ ὄντι ἑκάστου σοφοῦ <μία> ἡμέρα ἰσότιμός ἐστιν αἰῶνι. Auch der vorher ausgesprochene Gedanke, dass das ganze Leben des Weisen in tugendhaftem Handeln bestehe, ist stoische Lehre (Stoic. veterum fragm. III 557 ff. Arnim).
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/032&oldid=- (Version vom 4.10.2017)