Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn | |
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dagegen waren die jenseits des Euphrat an den äussersten Grenzen Babyloniens geborenen Mädchen[1] zur Mitgift ihren Herrinnen bei ihrer Verheiratung beigegeben worden; sie wurden aber für würdig befunden, Bettgenossen des weisen Mannes [p. 444 M.] zu werden, gelangten zuerst aus ihrem Stande als Kebsfrauen zu dem Namen und der Stellung von Ehefrauen und wurden aus Dienerinnen ihren Herrinnen beinahe gleichberechtigte Frauen, da sie von diesen selbst, was sehr sonderbar erschien, zu derselben Würde erhoben wurden; denn Neid zieht nicht in die Gemüter von Weisen ein, und da er nicht vorhanden ist, lassen sie andere an ihrem Glücke teilnehmen. 224 Die von ihnen geborenen unehelichen Söhne aber wurden in keiner Weise hinter den rechtmässigen Kindern zurückgesetzt, nicht nur bei dem Vater — denn das ist kein Wunder, dass der allen gemeinsame Vater auch denen, die nicht von derselben Mutter sind, die gleiche Zuneigung zuwendet —, sondern auch bei den Stiefmüttern: diese legten ihren Hass gegen die Stiefsöhne ab und verwandelten ihn in unsagbare Fürsorge für sie. 225 Die Stiefsöhne wiederum vergalten mit gleicher Zuneigung und ehrten die Stiefmütter wie leibliche Mütter, und die Brüder, die nur zur Hälfte als dem Geschlechte angehörig gelten konnten, meinten nicht bloss zur Hälfte einander lieben zu dürfen, sondern steigerten das Gefühl der Liebe und Gegenliebe auf das Doppelte, ergänzten das, was scheinbar fehlte, und bemühten sich denen, die von beiden Seiten Brüder waren, in harmonischer Charakterbildung gleichzukommen.
226 (7.) Was haben wir also mit denen zu teilen, die auf den Adel, als wäre er nur ihr Eigentum, Anspruch machen, während er ihnen (in Wahrheit) etwas Fremdes ist? Solche können, abgesehen von dem Gesagten, mit Recht als Feinde sowohl des jüdischen Volkes als auch aller Menschen allenthalben angesehen werden: des jüdischen Volkes, weil sie ihren Stammesgenossen die Freiheit gewähren wollen, ein vernünftiges und sittlich gekräftigtes Leben zu verachten im Vertrauen auf das Verdienst der Vorfahren, der anderen Menschen, weil diese auch
- ↑ Silpa und Bilha (1 Mos. 29,24.29. 30,3ff.).
Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/064&oldid=- (Version vom 1.8.2018)