„O sänftigt Euren Kummer, edle Königin“, entgegnete ich, „Ihr kennt nicht meines lieben Gemahles Gemüt. Sie hatte wohl Recht, mich voll Thorheit zu wähnen, da ich mich sogar zuerst unterfing, mit Necken ihr zu begegnen. Klär’ ich nur erst das Rätsel auf, so werdet Ihr sehen, ihr Herz verzichtet gern auf bessern Kauf, und sie wird unserm Gaste eine frohe Wirtin sein.“
Mein Weib sprach: „Ich vertraue Dir, es ist genug, daß ich gesund Dich wiedersehe. So sei mir auch hoch willkommen dies edle Königskind.“ „Laß sie uns nicht mehr zürnen“, bat nun auch mein Sohn Gerhard; „ich will ihr gerne dienen so viel ich kann, nie soll ein lieberer Gast uns erschienen sein, als diese holde Frau, die Du aus Heidenbanden erlöstest.“
So führten wir die Fürstin samt ihren Jungfrauen unter unser Dach. Wir räumten ihr schöne Gemächer ein und führten ihr manche edle Maid aus der Stadt als Gespielin zu. Alle nahmen sich die holde Frau zum Vorbild. Diese aber unterwies die anderen in allerlei schöner Arbeit. Mit Borten fein, mit Perlen und Gesteinen ward mancher Seidenkragen schön gestickt. So lebte die junge Königin unter uns, und wer sie ansah in ihrer Lieblichkeit und Schöne, dem wurde das Herz froh.
So war länger als ein Jahr vergangen und keine Kunde war uns gebracht worden, ob König Wilhelm, ob König Reinmund noch am Leben seien. Obgleich die junge Königin ihren Kummer zu verbergen suchte, sahen wir wohl, wie sehr sie sich im Stillen grämte. Hörte sie den Namen Wilhelm, so rannen heiße Thränen aus ihren Augen. Sie werden längst gestorben sein, nach denen sie so sehr sich sehnt, so dachte ich, wie sollte es sonst kommen, daß kein Bote sich hier blicken läßt? Auch von den Freunden in Engelland hörten wir nichts.
So stiegen endlich bange Zweifel um das Wohl der Königin in mir auf. So lange ich lebte, wollte ich ihr schützend und als treuer Berater zur Seite stehen, das gelobte ich mir. Aber was sollte einst aus ihr werden, wenn vielleicht gar zu ihrem Leid noch Not und Armut sich gesellten? Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe mehr.
So ging ich denn eines Tages zu der Fürstin. Ich bat sie, mich in Geduld anzuhören, und mir nicht zu zürnen, sollte auch meine Rede ihren Unmut erregen.
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/239&oldid=- (Version vom 1.8.2018)