„Edle Frau,“ sprach ich zu ihr, „der Sorgen mancherlei beschweren mein Herz bei Tag und oft sogar bei Nacht, doch am meisten bedrückt mich der Gedanke, was aus Euch werden soll, wenn ich einst nicht mehr bin. Euch lebt kein Bräutigam und kein Vater mehr. Längst wohl hätten sie sonst Euch Kunde von sich gegeben. Nun hört den Rat, der Euch vom Freunde kommt. Wie sehr Ihr auch gefaßt seid auf alles, so wißt Ihr doch nicht, welch schwere Last, auch unverschuldet, die Armut ist. So wollet denn mit Vernunft handeln. Verschmähet nicht den Gatten, den Eures Pflegers Haus Euch bietet. Verschmähet die Zunft der Kaufmannschaft nicht. Sie schafft Ehre und reichen Lohn, das habt Ihr wohl an mir und meinem Sohne erfahren. Ihn biet’ ich Euch zum Gemahl an. Weiset ihn nicht von Euch. Kein Tag bringt Euch zurück, was einst Ihr besaßet. Bemühet Euch zu vergessen, was ein böses Geschick Euch raubte.“
„Lieber Vater“, antwortete die edle Fürstin, „Ihr seid mein bester Berater auf dieser Welt. Ich werde thun, was Euch am besten scheint. Auch weiß ich keinen, der mir so gut, so treu und so des besten Glückes wert erscheint als Euer Sohn. Doch habe ich eine Bitte noch, und Du wirst sie, lieber Vater, mir nicht versagen. Laß mich ein Jahr noch warten, laß mich noch hoffen, ob er nicht doch noch wiederkehrt, den ich so lang’ ersehnte, mein Glück, mein Lebensheil. Ich weiß, er lebt, o vielleicht seh’ ich ihn noch dieses Jahr. Wo nicht, so will ich gern in Deinen Willen mich ergeben.“
Ich willigte ein, lag doch das Glück der holden Königin mir einzig im Sinne.
Das Jahr war bald verschwunden. Keine Kunde hatte es gebracht weder von Norwegen noch von Engelland. Die Königin sollte nun eines Kaufmanns Weib werden. Sie verbarg unter fröhlichen Gebärden ihre Traurigkeit. Als ich jedoch sah, daß sie entschlossen war, meines Sohnes ehelich Gemahl zu werden, dachte ich, kein Glück auf Erden könne dem unsern gleichen. Ich ließ mit großer Pracht alles zur Hochzeit herrichten. Mein Reichtum sollte Niemandem verborgen bleiben. Ich ging auch zu dem Erzbischofe, dem Fürsten von Köln, erzählte ihm alles, was sich mit mir begeben und pries ihm laut meines Sohnes Ehre und Glück. Mag’s auch der Neider viele geben, rühmte ich mich, ich frage nicht danach. Ja,
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/240&oldid=- (Version vom 1.8.2018)