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Zweytes Kapitel.
Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.

Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.

Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?