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Walther Kabel: Retter wider Willen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 4)

Der Majoratsherr ließ darauf den jungen Gelehrten, nachdem dieser noch an dem Mittagessen im Gutshause hatte teilnehmen müssen, in seinem Auto nach der Reichshauptstadt zurückbefördern, da der Dozent mit der Eisenbahn zu seinem Vortrag nicht mehr zurechtgekommen wäre. Der liebenswürdige Freiherr half seinem Gast sogar noch mit einem Mantel aus, worauf der Doktor sich mit herzlichen Dankesworten verabschiedete und davonfuhr.

Inzwischen hatte sich auch in dem zum Gute gehörigen Dorfe die Geschichte von dem Überfall auf den Berliner Gelehrten herumgesprochen. Abends gegen acht Uhr ließ sich der Ortsgendarm bei dem Majoratsbesitzer melden und bat um eine genaue Personalbeschreibung des angeblichen Möller. Kaum hatte Herr v. S. den Schmiß erwähnt, als der Beamte auch schon Bescheid wußte. Doktor Möller war niemand anderes gewesen, als der berüchtigte Berliner Einbrecher Seiffert, der am Morgen aus der nahen Irrenanstalt Herzberge, wohin man ihn vor acht Tagen zur Beobachtung seines Geisteszustandes gebracht hatte, ausgebrochen und ohne Kopfbedeckung geflüchtet war. Da sofort eine ganze Anzahl von Wärtern seine Verfolgung aufgenommen hatte und ihm ein Entkommen mit dem geringen Vorsprung daher recht ungewiß erscheinen mußte, hatte er den Bewußtlosen gespielt – eben in der Hoffnung, daß das herannahende Auto ihn irgendwohin mitnehmen würde. Sein späteres Verhalten hatte der verschlagene Verbrecher dann aufs geschickteste den Umständen angepaßt, sich schnell zum Privatdozenten gemacht und das Märchen von dem Vortrage vor dem Minister erfunden, eine Schwindelei, die ihre Wirkung nicht verfehlte und den Freiherrn veranlaßte, dem Herrn Doktor sein Auto zur Verfügung zu stellen.

Der „Schmiß“ des Einbrechers, der früher Maschinentechniker gewesen war und nie anders als in Zylinder und Lackschuhen auftrat, stammte von einer Messerstecherei her, während das sichere Auftreten die Folge einer jahrelangen internationalen Tätigkeit als Geldschrankknacker war.

Eine Woche später erhielt der Majoratsbesitzer aus Köln einen ironisch gehaltenen Brief, in dem Seiffert sich für die

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Walther Kabel: Retter wider Willen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 4). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1915, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Retter_wider_Willen.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)