Aber Yoe zuckte nicht einmal bei der Stimme des Freundes, nur ein bewußtloses Lächeln huschte über seine fahlen Lippen, er bewegte sie tonlos und neigte sich etwas vor.
Zenons Augen folgten der Richtung seines Blickes und blieb wie gelähmt stehen. Drüben an der Wand saß jemand, der Yoe so völlig ähnlich war wie sein Spiegelbild, ebenso zusammengekauert, ebenso vor sich hinstarrend mit gläsernen Augen, mit demselben bewußtlosen Lächeln auf den fahlen Lippen.
Zenon sah sich ängstlich im Zimmer um, der Malaie war nicht mehr da, aber die beiden saßen immer noch da, als wären sie in diesem angestrengten leblosen Aufeinanderstarren erkaltet. Schweiß perlte auf Zenons Stirn, und sein Herz hörte auf zu schlagen.
„Träume ich, oder was ist das? Was soll das bedeuten?“ dachte er und rieb sich die Augen.
Doch er träumte nicht, und das, was er vor sich sah, war eine völlig unfaßbare Wirklichkeit und dauerte unverändert fort. Er forschte mit tiefster Aufmerksamkeit, er konnte jedoch nicht unterscheiden, wer von ihnen nur ein Spiegelbild des andern sei, denn jeder war Yoe, jeder war derselbe, und doch in zwei Gestalten.
„Also das ist möglich, das ist wahr?“ flüsterte Zenon mit bleichen Lippen und zog sich zurück in die Tiefen der Erinnerung an alle die Dinge, die er selbst gesehen und gehört und über die er nur gescherzt hatte, da er annahm, es wäre Wahnsinn oder Betrug. Und jetzt kamen Augenblicke einer so furchtbaren Verwirrung über ihn, daß er sich an dieser unfaßbaren Wirklichkeit
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/228&oldid=- (Version vom 1.8.2018)