kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagts euch kurz und gut, oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen abzugewinnen, wenn ihr es werth seyd, und rathet und helft ihm, wenn ihr könnt.
Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die bösen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen, und das Gute nur durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlägt? Euer bester Ackerboden trägt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft, und euer Lebenlang keine Waizen-Erndte; und ein dürres Sandfeld, das nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern Fleiß und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber wenn ihr den guten Boden ansäet zu rechter Zeit, sein wartet und pfleget, wie sichs gebühret, so steigt im Morgenthau und Abendregen eine fröhliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und mancherley taubes Gras möchten gern, aber es kann nicht mehr empor kommen. Die gesunde Aehre schwankt in der Luft, und füllt sich mit kostbaren Körnern. So ist es mit den Menschen und mit seinem Herzen auch. Was lernen wir daraus? Man muß nicht unzeitig klagen und hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie erfüllt werden kann. Man muß den Fleiß, die Mühe und Geduld, die man an eine handvoll Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kinder sich nicht verdrüßen lassen. Man muß dem Unkraut zuvorkommen, und guten Saamen, schöne Tugenden in das weiche zarte Herz hineinpflanzen, und Gott vertrauen, so wirds besser werden.
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/060&oldid=- (Version vom 1.8.2018)