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Anton Oskar Klaußmann: Spazierstockpflanzungen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

Andere Spazierstockpflanzungen richten sich nach dem Klima, in dem gewisse Baumarten gedeihen, so der Ginster in der Bretagne, der Weiß- oder Rotdorn im Departement Cher und endlich der Buchsbaum in den Pyrenäen.

Die Bewirtschaftung der Spazierstockpflanzungen ist eine sehr umständliche und erfordert höchste Vorsicht und Aufmerksamkeit. Man pflanzt kleine, aus dem Samen gezogene Pflanzen der betreffenden Holzart in regelmäßigen Reihen und hat während des ersten Jahres die Pflanze nur gegen Frost zu schützen. Nach Jahresfrist zeigt sie Neigung, sich strauchartig auszubreiten und zu verästeln. Sie wird dann unmittelbar über dem Boden abgeschnitten, damit sich der Wurzelstock kräftigt. Aus diesem treibt sie dann im nächsten Frühjahr wieder einen neuen geraden Schoß empor, der nun unter beständiger Aufsicht gehalten werden muß, damit er nicht entarte. Sowie sich nur der geringste Ansatz zu einem Seitenästchen oder zu einem Blatt bemerkbar macht, muß dieser Trieb ausgeschnitten werden, damit der Stock keinen Fleck bekommt.

Nachdem man die Pflanzen drei Jahre lang auf das sorglichste gehütet hat, muß eine Operation mit ihnen vorgenommen werden, durch welche viele zu Grunde gehen. Die geraden, blätterlosen Stengel werden nämlich mit Mustern versehen, die man mit Hilfe besonderer Apparate einschneidet. Um die Pflanze herum wird ein eiserner Ring gelegt, der sich an der Seite öffnen läßt und in seinem Innern eine Anzahl von Messern nach einem bestimmten Muster aufweist. Mit diesen Messern schneidet man durch die Rinde bis auf das Holz feine Rillen, die als Muster in dem Holze verbleiben, auch wenn die Rinde entfernt ist. Camus besitzt 120 verschiedene, gesetzlich geschützte Muster: Spiral-, Perlenform, griechische, altrömische, Renaissancemuster und so weiter. Dieses Musterschneiden kann nur in der Zeit vom 1. Februar bis zum 15. Mai erfolgen und muß durch Arbeiter vorgenommen werden, die darin große Übung besitzen. Sie müssen es im Gefühl haben, wie tief sie die Schnitte führen dürfen. Ein geübter Arbeiter kann 1200 Spazierstockstengel in einem Tage mit Mustern versehen.

Empfohlene Zitierweise:
Anton Oskar Klaußmann: Spazierstockpflanzungen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1909, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spazierstockpflanzungen.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)