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 3.
Liebe Eltern gute Nacht!

30
Ich soll wiedrum von euch scheiden,

Kaum war ich zur Welt gebracht,
Hab genossen keine Freuden,
So kommt schon der Tod herein,
Führt mich ins Grab hinein.

35
Eltern hört nur auf zu klagen,

Lasset mich mit Jesus sagen:
Nun Gottlob es ist vollbracht,
Eltern ich sag gute Nacht.

 4.
Bald hab ich ausgekämpfet,

40
Seh schon das End des Krieg’s,

Sünd und Satan ist gedämpfet,
Frieden ist die Frucht des Sieg’s,
So ich allbereits geniese;
Frieden wie bist du so süse.

45
Ich das Kleinste von den Glieder,

Geh schon fort, doch nicht allein,
Eltern, Schwestern, alle Brüder
Werden auch bald bei mir sein;
Weil sie wünschen, bitten, weinen,

50
Dass ihr Tag mag bald erscheinen.


 5.
Was hilft dich, Mensch, dein kurzes Leben
und die Freud auf dieser Welt?
Denk, dass du einmahl musst sterben,
Alles vergehet und zerfällt.

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Heut stolzierest wie ein Doggen,[1]

Tragst ein grünen Blumenstrauss;
Morgen leut’ man dir die Glocken,
Trägt den Leib zum Hauss hinaus.[2]


O allerschönstes Jesulein,
Du Pragerisches, lieb und klein,
Klein an Gestalt, gross in der Macht,
Wie in Erfahrnuss schon gebracht.

5
Du Zierd des ganzen Erdenreich,

Mit deiner Hülf nicht von uns weich,
Weil du zu uns ankommen bist,
Demüthig sey von uns gegrüsst.

Du kommst zu uns aus Böhmen Land,

10
Ach, mach dein Hülf auch hier bekannt,

Wir fallen dir zu Füssen all,
Dein Gnad uns zeige überall.

O allerschönstes Jesulein,
Wie konnt es denn doch möglich sein,

15
Dass man so wenig dich geacht,

So lang dich in Vergessung bracht?

Sieben Jahr dauerte dein Elend,
Zerbrochen wurden dir deine Hand,
Bis endlich deiner Gnaden Strahlen

20
Auf einen treuen Diener gefallen.


Der ohngefähr zu Prag ankam,
Und dein Abwesenheit wahrnahm;
Cirillus ware er genannt,
Dem deine Gnaden schon bekannt.


  1. ein gewöhnlicher Ausdruck statt Puppe. (Bemerkung der Frau Pattberg.)
  2. Aus der eigenhändigen Niederschrift der Frau Auguste Pattberg. Die vier ersten Zeilen von Nr. 3 (Liebe Eltern – keine Freuden) und die sechs letzten von Nr. 4 (Ich, das Kleinste eurer Glieder – mag bald erscheinen) zu einem Ganzen verbunden in den „Kinderliedern“ des Wunderhorns S. 26, mit der Aufschrift: „Auf dem Grabstein eines Kindes in einem Kirchhof im Odenwald.“
Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)