„Wer das Dichten will verstehn,
Muß ins Land der Dichter gehn:
Wer den Dichter will verstehn.
Muß in Dichters Lande gehn.“
Ukraine – die osteuropäische Mark, das verschwommene Grenzland zwischen dem Orient und dem Okzident, die in drei Literaturen (der polnischen, der russischen und der ukrainischen) besungenen Ufer des ungeheuern Dnipró-Beckens, die endlosen Kosakensteppen; die Wiege melodischer Volkslieder und Weisen, die idyllischen Gegenden der weißen Hütten und der hellroten Kirschblüten, die schwarze Erde des herrlichen Igorliedes; das Vaterland eines unterjochten Volksstammes von dreißig Millionen Seelen, das Riesengrab der schwedischen Helden Karls XII. – dieses so unbekannte und verkannte Land ist mit dem Namen Taras Schewtschenko untrennbar verknüpft.
Vom Karpathengebirge bis zum Schwarzen Meer und dem Don und noch weiter breiteten sich die Ukrainer aus, das sogenannte kleinrussische Volk. Schon die geographische Lage bestimmte so das Land zum Tummelplatz für nomadisierende Eroberer und zu ununterbrochenen Völkerwanderungen. Bereits im V. Jahrhundert war die Ukraine größtenteils slawisiert und Kiew wurde nach der warjägischen Ansiedelung am Dnipró im IX. Jahrhundert bekanntlich die Hauptstadt und der Kulturherd des ersten ukrainischen Reiches, welches damals den etwas dunklen Namen „Russj“ führte. Allein im XII. Jahrhundert wurde seine Macht durch barbarische Völkerschaften immer mehr geschwächt. Parallel
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite IX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/15&oldid=- (Version vom 4.7.2018)