Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/79

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I.
Der künftige Kobsar.

Im Jahre 1838 wurde Taras Schewtschenko aus der Leibeigenschaft losgekauft und es scheint, als ob diese soziale Befreiung ihm erst die Zunge gelöst hätte. Tatsächliсh hatte er vor diesem Zeitpunkte nichts veröffentlicht. Die ersten Früchte seines dichterischen Schaffens, die möglicherweise noch nicht druckfähig waren, reiften erst am Ende der dreißiger Jahre.

Um den geistigen Gärungsprozeß Schewtschenkos analysieren zu können, sind wir auf seine eigenen spärlichen Andeutungen angewiesen. In dem selbstbiographischen Fragmente, das er 1860 für das „Narodnoje Tschtjenje“ schrieb, heißt es kurz: „Über meine ersten literarischen Versuche will ich nur so viel sagen, daß sie im Sommergarten der russischen Hauptstadt in sternhellen Nächten ihren Anfang nahmen. Die spröde ukrainische Muse widerstand lang meinem in der Dorfschule, dem Vorzimmer des Gutshofes, in den Einkehrhäusern und städtischen Quartieren auf Abwegen gelangten Sinn. Als aber der Odem der Freiheit meinen Gefühlen die Reinheit der ersten Kinderjahre wiedergab, die mir unter dem väterlichen Strohdach dahingeschwunden waren, schloß sie mich in der Fremde in ihre Arme. Von den ersten schwachen Schriftproben, die ich im Sommergarten machte, wurde nur die Ballade ,Die Besessene‘ gedruckt.“[1])

Dieses Bekenntnis ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Der Dichter gibt selbst unumwunden zu, daß er


  1. Erst 1841 in dem von Hrebinka herausgegebenen poetischen Almanach „Lastiwka“ (Die Schwalbe) gedruckt.