Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/89

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Schöpfung anknüpfte. Seine Dichtung war an sich Volkslied, aber ein neues, ein derartiges, daß es nunmehr vom ganzen Volk gesungen werden konnte und aus der Volksseele als fortgesetzte Geschichte des Volkes sich ergießen mußte. Schewtschenko war ein Auserwählter des Volkes im wahren Sinne des Wortes. Er sagte, was jeder Volksfreund sagen würde, falls seine Zugehörigkeit zum Volke zu jenen Höhen der Vollkommenheit sich erheben könnte, die ihn befähigt auszudrücken, was auf dem Grunde seiner Seele liegt. Er sprach, weil das Volk noch nicht gesprochen hatte, aber schon bereit war zu sprechen und nur darauf wartete, daß aus seiner Mitte der Schöpfer hervortrete, welcher seine Sprache, seinen Ton beherrsche. Und in den Spuren eines solchen Schöpfers wandelnd, sprach auch das Volk ganz einstimmig: er ist unser! Seine Poesie ist eine mittelbare Fortsetzung der Volkspoesie. Er war der letzte Kobsar und der erste große Dichter der Ukraine.“

Von Natur aus war Schewtschenko, nach meiner Auffassung, eher Optimist als Pessimist und von kindlich-fröhlicher Gemütsart. Ohne diese ursprüngliche Lebenslust wäre ihm die schwere Last des Lebens gewiß gar unerträglich geworden. Wer Menschen, Tiere und die Natur selbst liebt, ist gewiß gewillt, die Welt von ihrer hellen Seite zu betrachten. „Gehn wir“ – heißt es in einem Gedicht – „in das Dörfchen: Hier gibt es Menschen, gute Menschen. Hier wollen wir leben, die Menschen lieben und den heiligen Gott preisen.“

Der wehmütige Schleier, der meistenteils über seiner Lyrik liegt, wird hie und da durch den sonnigen Strahl dieser naiven, auf religiöser Grundlage ruhenden Weltweisheit zerstreut, und Schewtschenko hätte wohl selbst am liebsten der Aufforderung Folge geleistet, die der Sänger an die „Hajdamaken“ richtet: „Meine Söhne, die Welt ist weit, die Freiheit winkt. Geht und streifet umher und suchet das Glück!“ Schewtschenko ist Halajda selbst, der junge Held des Gedichtes, der wehklagt: „Schwer ist es, in der Welt zu leben, und man will doch leben; man möchte zuschauen, wie die Sonne scheint, zuhören, wie das Meer