Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/165

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Am andern Morgen hat sie ihr Album zu Herrn Pfarrer geschickt und ihn bitten lassen, sich einzuschreiben. Herr Pfarrer schrieb ihr ein Ps. 21, 1–8. Mancherlei Komisches hat sich auch dabei zugetragen. Herrn Pfarrers Garderobe ist natürlich nicht für königliche Audienzen eingerichtet. Da bot ihm Herr Dekan Meier seinen Amtsrock und seine weißen Handschuhe an. Ersterer schlotterte ein wenig, da Herr Dekan ein dicker Mann ist. Den Hut lieferte Herr von Tucher, und Herr Pfarrer erzählte sehr humoristisch, wie ihm der Wind denselben einmal vom Kopfe geweht, da er mit Prinzessin Elise über die Straße ging. Es sei nun eine Jagd auf den Hut losgegangen, Prinzessin wie ein Reh, er wie ein Bär gesprungen, und erstere erjagte endlich das erborgte Kleinod.

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, Mai 1867

 Meine liebste Mutter, ...Herr Pfarrer wird, so Gott will, morgen von Polsingen zurückkehren. Er war dann gerade drei Wochen fort. Er hat sich dort mehr als Kranker gefühlt und mehr gepflegt, als er es hier tut. Doch erwarten wir nicht, daß er gestärkter und frischer zurückkommt.

 Gegenwärtig ist eine alte Diakonissin bei uns zu Besuch, eine ehemalige Bethanische Schwester, die zunächst von X kam, wo sie hatte Oberin werden wollen, allein da die andere Oberin nicht ging, mußte sie wieder abziehen. Sie scheint geradezu aufs Oberinwerden versessen zu sein. Eine sonderbare Manie, das muß ich gestehen. Man muß wahrhaftig nicht recht gescheit sein, um darnach gerade ein Verlangen zu tragen.

 Heute abend haben wir im Pfarrhaus noch mit Blumen geschmückt zum Empfang. Ein Kranz von lauter Rosen, wunderschön von Bruder Michel gebunden, hängt an seiner Schlafzimmertür, am Eingang des Wohnzimmers stehen zwei kleine Maien, und sonst gibt’s noch Blumen und Kränze. O könnten wir doch seinen schweren Lebensabend mit lauter Blumen bestreuen, wie gerne täten wir’s! Es ist eine harte, harte Führung.

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/165&oldid=- (Version vom 10.11.2016)