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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 18. November 1857

 Meine liebste Mutter, „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich.“ ...Kaum kann ich mir’s denken, daß, seitdem ich Ihnen den letzten Geburtstagsbrief geschrieben, schon ein volles Jahr vergangen sein soll. Ich denke, es wird Ihnen auch so gehen, und dieselben Gefühle von dem raschen Dahinfahren unseres Lebens, die beim Rückblick auf ein vergleichsweise kurzes Leben wie das meinige aufsteigen, müssen in erhöhtem Maße wiederkehren beim Rückblick auf ein langes Leben wie das Ihrige. ...Nah und fern denken an diesem Tage dreizehn Kinder Ihrer in fürbittender Liebe und freuen sich, daß sie an einer solchen Mutter das vierte Gebot erfüllen durften und dürfen.

 „Alle eure Wünsche, die ihr in dem Herrn tut, lasset fortan zu Gebeten werden“, sagte Herr Pfarrer einmal, und so soll auch mein Geburtstagswunsch ein brünstiges Gebet sein. ...

 Unser teurer Herr Pfarrer kommt nun wieder täglich ins Haus und will, wie er sagt, nach seinen schwachen Kräften etwas zum Ganzen beitragen, nämlich durch äußerst strenge Visitationen.

 Obgleich nun aber Herr Pfarrer dies tun kann, so ist dennoch seine Gesundheit noch sehr delikat; aber wir danken Gott, daß es so weit ist. Denken Sie, am vorigen Sonntag haben wir eine Predigt von ihm gehört, die er diktiert hat und die Herr Konrektor Lotze vorlas. Sie handelte von der ersten Auferstehung und wird gedruckt werden. Heute las Herr Konrektor einen Vortrag über die Buße vor; wird auch gedruckt werden. Letzterer hat einen ganz gewaltigen Eindruck auf uns gemacht. So sorgt der treue Hirte für seine Schafe, auch wenn er sie nicht selbst weiden kann.

 Nun hat jede von uns Lehrerinnen etliche von den sechsunddreißig Kindern zur speziellen Aufsicht in Bezug auf äußere und innerliche Reinlichkeit bekommen. Die ganze Einrichtung wird immer anstaltsmäßiger, immer mehr tritt das Familiäre zurück.

 Ich habe, glaube ich, noch gar nicht gesagt, daß Marianne auch am Sterben gelegen und noch sehr krank ist. Das geht

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/73&oldid=- (Version vom 24.10.2016)