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heiligen Lande. Über die Propheten hat uns Herr Pfarrer eine chronologische Tabelle gegeben...

 Die Harfe ist noch immer nicht da. Herr Konrektor fragt unzählige Male darnach. Ich kann es gar nicht begreifen, daß sie noch nicht da ist. In herzlicher Liebe

Ihre Therese.


An ihre Schwester Ida.
Neuendettelsau, den 20. Juli 1858

 Liebe Schwester, bereits sind vierzehn Tage von dem sechsundfünfzigtägigen Waisenstand verstrichen, den wir nun durchleben müssen, und ich habe noch keine Zeile nach Augsburg gehen lassen, um dort von unserem Leben ohne Herrn Pfarrer zu berichten. Das macht, weil man sich hier zu Anfang jeder Woche gerade so vorkommen muß wie einer, der mit gewaltigem Anlauf rennt und rennt, bis er an einem gewissen Ziel anlangt, einen Ruhepunkt gefunden, auf welchem er ausschnaufen und sich erquicken kann, um dann weiter zu rennen. Der Ruhepunkt ist der Samstag und Sonntag. Am Samstag atmet man frisch auf, denn da hat man keine oder doch fast keine Stunden zu geben, und am Sonntag erquickt man sich. Von wegen dieses Rennens geht einem auch nirgends die Zeit so schnell vorüber wie hier; aber ich weiß nicht, was das ist, seit vierzehn Tagen scheinen ihr die Flügel beschnitten zu sein, mit welchen sie sonst so unglaublich rasch von dannen eilte, und statt des Fliegens schleicht sie jetzt, gerade jetzt, wo ich ihr zu den bisherigen noch ein paar Dutzend Flügel mehr gewünscht hätte. ...Ein Samstag war’s, an welchem „unser Vater“ uns verließ. Solch ein Weh hab ich kaum ein zweites Mal bei einem Abschied empfunden, als da, wo er zum letztenmal durch unsere Gänge wandelte und mit ermunternden Worten die Hand uns reichte. „Habt allezeit Salz bei euch, und habt Frieden untereinander“, hatte er uns tags zuvor am Schluß seiner letzten Stunde zugerufen, zu welcher Ermahnung er alsdann den Wunsch, dessen Erfüllung ihm Gewißheit geworden sei, fügte: daß sein Stellvertreter, Herr Konrektor Lotze, ihn uns ganz vergessen machen möge, so daß bei Rückkehr von seiner Reise er jenem Mönch

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/86&oldid=- (Version vom 10.11.2016)