Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/120

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wir haben kaum etwas von den eigentlichen Persern erzählt. In Aderbeidschan giebt es ihrer wenige, da die Einwohner mehr ein Mischvolk von Kurden, Türken, Chaldäern und Armeniern sind, wie ja auch die türkische Sprache daselbst mehr verbreitet ist als die persische. Man kann sagen, daß das persische Element im allgemeinen unterdrückt ist. Die Dynastie der Aftkaren (Nadir-Schah) wie auch die jetzt regierende Dynastie der Kadscharen sind turkmenischen Ursprunges; aber die persische Zivilisation hat diese fremden Elemente durchdrungen, obgleich die echten Perser nur in Farsistan wohnen.

Übrigens muß man sich an das gewöhnliche Volk halten, wenn man von einer bestimmten Rasse sprechen will. Die vornehmen und noch mehr die souveränen Häuser verlieren schnell ihre Rasse durch die Heiraten mit andern Stämmen. Da die Georgierinnen lange Zeit für die schönsten Sklavinnen gegolten haben, so findet sich kaum eine einzige fürstliche Familie, die kein georgisches Blut besitzt. Die Perser, wenn man diesen Ausdruck als gleichbedeutend mit den mohammedanischen Bewohnern Persiens nimmt, sind im allgemeinen tapfer und lebhaft und zeichnen sich durch eine fruchtbare Phantasie aus; sie sind wollüstig bis zum Übermaß, und die Ehe ist bei ihnen ein ziemlich verfallenes Institut.

Selbstverständlich sind sie Fatalisten, wenn auch nicht in dem Maße wie die Türken; aber der Aberglaube ist noch sehr groß bei ihnen, und die Sterndeuter genießen bei ihnen das höchste Ansehen. Sie sind sehr verschwenderisch, und zu derselben Zeit verstehen sie auch gut zu heucheln und zu betrügen; kurz, jedes Mittel ist ihnen recht zur Befriedigung ihres Luxus. Wenn sie eine Sache wünschen und sei es von den größten Herren, verlegen sie sich auf die eindringlichsten Schmeicheleien; haben sie die Sache aber erhalten, so würdigen sie den Geber keines Blickes mehr, vorausgesetzt, daß ihnen bekannt ist, daß er nichts Begehrenswertes mehr für sie hat. Es leuchtet wohl ein, daß bei solchen Hehlern die Großmütigkeit nicht die starke Seite im persischen Charakter ist. Aber sie sind höflich und für die Fremden zugänglicher als die Türken. Betreffs der Nahrung muß man ihnen das Zeugnis ausstellen, daß sie sich mehr nach ihren religiösen Vorschriften richten als die Türken; ein echter Perser wird niemals mit einem Christen gemeinschaftlich speisen; hat er ihm eine Schüssel leihen müssen, so zerbricht er sie. Aber im allgemeinen kann man nicht sagen, daß Haß oder Verachtung gegen Andersgläubige mit diesen religiösen Vorschriften verbunden sind. Wenngleich die Perser auch höflich sind, so wäre es doch nicht ratsam, auf diese Höflichkeit zu große Stücke zu halten. Im Gegensatz zu der Türkei giebt es in Persien noch viele ererbte Höflichkeit.[1]

Die persische Bevölkerung teilt sich in eine seßhafte und umherziehende. Der nomadische Teil des Volkes ist der stärkere und tapfere; unter ihnen bilden die Kadscharen den wichtigsten Stamm. Die bedeutendsten Ämter gehören ihnen wie von Rechtswegen, da die gegenwärtige Dynastie aus diesem Stamm hervorgegangen ist. Die Aftkaren, die auch eine Dynastie, die des Nadir-Schah, hervorgebracht haben, wohnen hauptsächlich in Aderbeidschan.

  1. Die Bezeichnung Mirza, die sehr häufig angewandt wird, bedeutet, wenn sie vor dem Namen steht, den Vorzug der Geburt, weshalb sie in dieser Weise auch nur bei hochgestellten Personen angewandt wird. Steht sie aber nach dem Namen, so bedeutet sie nur eine einfache Qualifikation, die gesetzeskundige Leute oder auch Schreiber besitzen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)