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Für die Lazaristen ist zwar jetzt die Gefahr auf das Minimum zurückgeführt.

Aber es liegt auch zugleich das Geheimnis darin, weshalb die amerikanische Mission so wenig Erfolge aufzuweisen hat. Ohne Zweifel liegt ein Hauptgrund in der dogmatischen Anarchie, die so viele Credos als Missionare hervorbringt; ein anderer Grund, der nicht viel weniger schwerwiegend ist, besteht in dem Mangel an jedem moralischen Einfluß. Die amerikanischen Missionare sind auf das herrlichste eingerichtet, haben Familien und beziehen ein Einkommen von 600 bis 800 Toman,[1] die bei der Geldkalamität in Persien einen entschieden höheren Wert haben; bei der Geburt eines jeden Kindes erhalten sie eine Prämie; sie bleiben eine Zeit lang in Persien und erhalten später in Amerika eine gute Stelle; in ihrem Benehmen ist durchaus nichts Geistliches zu erkennen. Alle diese Umstände tragen dazu bei, diesen Missionaren mehr das Ansehen menschenfreundlicher Arbeiter zu geben als das von Missionaren, die einem höheren Rufe folgen, der das Opfer der irdischen Zukunft und der Annehmlichkeiten des Lebens verlangt. Deshalb führt auch ihr Einfluß in religiöser Hinsicht, anstatt etwas Positives zu leisten, zu den traurigsten Ergebnissen; er erzeugt nach und nach Gleichgiltigkeit und Unglauben.

Ich will hierbei weder die gute Absicht der Missionare, noch ihr Verdienst oder ihre Hingebung verkennen; ich erwähne nur die Thatsachen, wie sie sich dem unbefangenen Beurteiler vorstellen.

In rein humaner Hinsicht hat die amerikanische Mission etwas sehr Gutes geleistet, und wenn sie es auch nur durch ihre Mäßigkeitsvereine fertig gebracht hat, nämlich die Verminderung der Trunksucht, dieses in dem Gebiete von Urmia so allgemein verbreiteten Lasters.

Heute sind die amtlichen und äußern Beziehungen zwischen den Missionen der Lazaristen und der Amerikaner ziemlich gut. Sie empfingen uns sehr liebenswürdig in ihrem schönen Gebäude. Bei genauer Prüfung merkt man aber trotzdem immer noch den Einfluß der Traditionen Perkins’.

Im einzelnen kann die von den Amerikanern angewandte Taktik, um die Nestorianer[2] zu gewinnen, nicht hier angeführt werden. Im allgemeinen aber verfahren sie so: Die religiösen Irrtümer der Nestorianer werden von den Amerikanern schlau benutzt, sie beginnen damit, daß sie sich als Geistesverwandte der Nestorianer aufspielen und die Reinheit ihrer Lehre bewundern, die gleich ihnen den Papst nicht anerkennen und der allerseligsten Jungfrau Maria gegenüber ähnliche Stellungen einnehmen. Nach und nach machen die Amerikaner dann einen Angriff auf den Aberglauben der Nestorianer, der übrigens sehr verbreitet unter diesen ist, und suchen so langsam ihre Religion an den Mann zu bringen.

Heute verfahren sie dabei mit einer gewissen Langsamkeit, denn die Eile, mit der sie anfänglich das Missionswerk betrieben, ist ihnen teuer zu stehen gekommen. Im Juni 1844 hatten sie in einer nestorianischen Synode den Bischöfen und Vornehmen

  1. Ein Toman ist zehn Kran = 6,20 M.
  2. „Wir legen es nicht darauf an, die bestehende Kirchenverfassung der Nestorianer umzustoßen oder irgend andere Neuerungen bei ihnen einzuführen, außer denen, welche unfehlbar aus allgemeiner Bildung und fleißigem Bibellesen hervorgehen.“ (Z. D. M. G. 847. – Brief des D. T. Stodoard an den Professor Bernstein.) Diese „Kirchenverfassung“ der Nestorianer ist aber doch bei weitem noch keine presbyterianische.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/132&oldid=- (Version vom 1.8.2018)