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den Vorschlag gemacht, ihr altes Gepäck einfach über Bord zu werfen und die reine und einfache Lehre des Presbyterianismus anzunehmen. Aber die Versammlung war noch nicht reif für einen solchen Entschluß Die Nestorianer quittierten diesen Vorschlag damit, daß sie die Versammlung im Zorne verließen, um sich auf die Schulen und Gebäude der amerikanischen Mission zu stürzen und diese zu plündern.[1]

In den letzten Jahren ist nun noch, um die Verwirrung auf das höchste zu steigern, eine englische Mission hinzugekommen. Da sie den Nestorianern eine hierarchisch eingerichtete Kirchenordnung bietet, hat sie viele Aussichten, unter den Nestorianern Anhänger zu gewinnen. In politischer Hinsicht hat sie ebenfalls manches erreicht. Bis dahin vertraten die Amerikaner die englischen Interessen in Urmia. Nachdem aber einmal echte Engländer daselbst wohnhaft waren, bekümmerte sich England nicht mehr um die Amerikaner, deren Glücksstern damit erlosch.

Indes ist diese Mission noch im Werden. Die Mitglieder derselben gehören zur englischen Hochkirche, to the very high church (zu der wahren Hochkirche). Es ist darum ungemein komisch, wenn man sieht, mit welchem Eifer sie irgend einen katholischen Gebrauch ergreifen und sich der römisch-katholischen Kirche anzubequemen suchen. Ob sie jemals dahin kommen werden, einzusehen, daß, wenn ihre Vorfahren diese ehrwürdigen Gebräuche nicht verlassen hätten, die diesen das Zeichen der römischen Suprematie waren, sie dieselben nicht wieder aufzunehmen brauchten, wodurch sie doch bei einigem Nachdenken zur Einheit mit Rom gelangen müssen? Für viele von ihnen darf man diese Hoffnung hegen; denn ihre liturgische Entwickelung ist meistens von gewissenhaften Studien begleitet.

Die Beziehungen zu den Lazaristen lassen an Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig; auch uns empfingen die Engländer mit der größten Liebenswürdigkeit und bereiteten uns einen vergnügten Abend. Der russische Konsul ist, schon durch seine amtliche Stellung, ihr größter Feind.

Die Hochkirchler haben sich stets bemüht, den katholischen Glauben in keinem Punkte anzugreifen. Aus guter Quelle erfuhren wir, daß ihr Katechismus ein genauer Auszug eines unvollständigen katholischen Katechismus ist; sie haben ihn sogar dem Apostolischen Delegierten übersandt.

Was für eine Zukunft mag dieser Mission beschieden sein? Es ist sicher, daß sie bei ihrer täglichen Arbeit mehr oder weniger bedeutend in Wettbewerb mit der katholischen tritt. Sie hat aber wenigstens den Vorteil, den Nestorianern ein Christentum zu vermitteln, das bei all seinen Mängeln doch noch solid ist.[2]

  1. Hierbei muß man bemerken, daß zu dieser Zeit die katholische Mission aufgelöst war und die Missionare in der Verbannung lebten. Deshalb hatte Perkins auch unrecht, wenn er diese für den erwähnten Aufruhr und die Zerstörungen verantwortlich machte. Von da an geht man seitens der Amerikaner langsamer und vorsichtiger zu Werke.
  2. Nach unserer Abreise haben die Engländer unklugerweise bei den Nestorianern den englischen Einfluß zu sehr in den Vordergrund gedrängt und Versprechungen der Unabhängigkeit durchblicken lassen, worauf ihnen seitens der Türken, wahrscheinlich durch russischen Einfluß, der Aufenthalt untersagt worden ist. – Die Mission zu Urmia haben sie durch die Gründung eines Hauses der Schwestern von Bethanien ergänzt, eine genaue Nachahmung der katholischen Einrichtungen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/133&oldid=- (Version vom 1.8.2018)