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einen Strich durch ihre Rechnungen macht, zu entfernen, versteht sich eigentlich von selbst.

Wir lernten in Wan auch einige ausgezeichnete katholische armenische Familien kennen, die meistens von Konstantinopel gekommen waren.

Was die Armenier in Wan betrifft, besonders die Gregorianer, so genießen sie ein sehr zweifelhaftes Ansehen, was sie aber auch redlich verdient haben. Alle erduldeten Verfolgungen und Bedrückungen haben nicht vermocht, ihren Charakter zu ändern. Sie sind feige und falsch, so daß die Konsuln gezwungen waren, uns zu erklären, daß sie die „Alten Türken“ den Armeniern weit vorziehen. Die Verderbtheit der Sitten in diesem armenischen Zentrum ist besonders groß. Die Leichtigkeit, mit der die Armenier ihre Frauen durch den Tabur Agassi entehren lassen, ist bereits erwähnt worden. Freilich ist die Furcht vor demselben die Hauptursache; aber man kann auch den Grund dazu in dem gänzlichen Mangel an jedem besseren Gefühl erblicken. Lebemänner organisieren sich zu förmlichen Banden und veranstalten wirkliche Jagden auf Frauenspersonen. Fünfzehn dieser Teufel entführten neulich eine Unglückliche, die drei Tage lang zum Spielball der gemeinsten Leidenschaften dienen mußte. Als sie endlich halb tot ihre Wohnung wieder erreichte, war ihr Ehemann noch zum Schweigen gezwungen, wenn er sein Leben nicht aufs Spiel setzen wollte. Dergleichen Entführungen sind an der Tagesordnung, und man schreckt dabei vor keiner Gewaltthat zurück. Übrigens bleibt die Unsittlichkeit nicht einmal dabei stehen, sondern Verbrechen gegen die Natur kommen sogar sehr häufig vor. Man muß allerdings gestehen, daß die Türken hierbei tonangebend sind.

Kaum hatten die Patres ihre Schule eröffnet, als auch schon ihre Feinde begannen, die infamsten Gerüchte über die Patres auszustreuen; leider fanden diese Gerüchte Glauben, so daß eine gerichtliche Nachforschung stattfand. Viele Leute staunten, als sie sahen, wie diese Untersuchung zu Ungunsten der Ankläger ausfiel.

In meinem Reisejournal habe ich noch manche Sachen notiert, die in diesem Buche keinen Platz finden konnten; das Angeführte wird indes auch genügen. Alles dies wirkt stark auf die öffentliche Sittlichkeit, mag auch von den armenisch-gregorianischen Priestern noch so viel gepredigt und kontrolliert werden.[1]

In geistiger Hinsicht sind die Armenier sehr gut beanlagt. Als Handelsleute haben sie ihres Gleichen nicht. Tournefort sagt schon von ihnen: „Sie sind nicht allein die Herren des Handels in der Levante, sondern nehmen auch noch einen großen Teil an dem Handel der größten Städte Europas.“ Dieses trifft heute mehr als früher zu.

Ohne Zweifel können die in dem Innern der Türkei zerstreuten Armenier ihre Geschäfte nicht in dem großen Maßstabe betreiben wie ihre Landsleute in Konstantinopel oder in der Fremde, aber sie wissen aus ihrem kleinen Kapital sehr großen Gewinn zu ziehen.

„In Wan sind alle Industriearbeiter und der größte Teil der Landarbeiter Armenier. Die Türken handeln höchstens mit Früchten, und auch deren giebt es sehr wenig. Handwerksmeister giebt es nicht nur keine unter den Mohammedanern,

  1. Alte Schriftsteller, wie Le Bruyn (IV, 220 ff.) schon, zeichnen von den Sitten der Armenier ein sehr ungünstiges Bild. Tournefort sucht dieselben zu verteidigen (Brief 20).
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/187&oldid=- (Version vom 1.8.2018)