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auf einem großen Kalkstein, der eine lange Keilinschrift trägt, die unvollständig und verwischt ist.

Das ist im großen ganzen alles, was wir von den Ruinen von Khorsabad gesehen haben; denn auf dem Hügel, wo ehemals der Palast stand, waren die Ausgrabungen im vollen Gang, und ich habe mit den Ruinen erst eine genaue Bekanntschaft nach meiner Rückkehr in Europa gemacht, als ich das schöne Buch von Botta[1] las, auf das ich den Leser hinzuweisen mir gestatte.

Das Dorf Khorsabad war auf den königlichen Hügel gebaut. Um aber daselbst mit den Nachforschungen beginnen zu können, baute man den Einwohnern ein neues Dorf einige hundert Meter weiter und demolierte das alte ohne weitere Umstände.

Ein Dorfbewohner verkaufte uns zwei Ziegelsteine, die das Siegel Sargons tragen.

Das Federwild ist hier unerhört zutraulich; an der Schwelle meiner Wohnung ergriff ich zwei Bekassinen und einen andern kleinen Vogel, der in dem Schlamme der Lachen umher watete.

29. Dezember.

Wir wollten nach Scheikh-’Adi, dem Heiligtum der Yesiden, gehen; aber wir sind für eine solche Expedition nicht gehörig ausgerüstet, und jedermann erzählt uns, daß wir unterwegs nichts haben könnten. Wir gaben also Scheikh-’Adi auf und marschierten nach Alkosch.

Inbetreff der Yesiden glaube ich das uns Mitgeteilte nicht all, denn ihre Lehre ist traditionell, und die meisten, die darüber reden, wissen selber keinen genauen Bescheid.

Man bringt die Yesiden, vielleicht mit Recht, in Verbindung mit den Manichäern; wie diese so legen auch sie dem „bösen Prinzip“ eine außerordentliche Bedeutung bei, und sie sind in Wirklichkeit Teufelsanbeter. Um Gott kümmern sie sich nicht viel. Gott, sagen sie, ist das gute Prinzip, und deshalb kann er uns nichts Böses thun, ihn können wir also in Ruhe lassen. Aber das böse Prinzip muß geschont und besänftigt werden. Wenn der Teufel auch gegenwärtig ein Feind Gottes ist, so wird er doch am Ende der Zeiten wieder in Gnaden aufgenommen werden und sich alsdann an denen, die ihn verachtet haben, schrecklich rächen.

Darum wohl erweisen ihm die Yesiden einen eifrigen Kultus und fürchten ihn außerordentlich. Sie vermeiden dem Anscheine nach ein Wort auszusprechen, das mit einem Schin, dem Anfangslaute des Wortes Scheïtan (Teufel) beginnt, weil sie fürchten, es dadurch an der nötigen Ehrfurcht vor dem Teufel fehlen zu lassen.

Eine gewisse Anzahl von kupfernen Statuetten, die einen Hahn vorstellen, spielt in ihrer Religion eine sehr wichtige, leider aber nicht genügend aufgeklärte Rolle.

Einmal im Jahre vereinigen sie sich in ihrem Heiligtum von Scheikh-’Adi, einer alten, christlichen Kirche. Nach den Opfern von Eiern, Hühnern und tausend abergläubigen Gebräuchen werden alle Lichter ausgelöscht, und es beginnt dann eine schauerliche Orgie, die dieses satanischen Kultus würdig ist.

Da sie von den Mohammedanern schrecklich gehaßt werden, so sind sie auch von denselben oft decimiert worden. Während seiner Expedition in Kurdistan soll Mehemed Reschid Pascha 40000 Yesiden umgebracht haben. Desgleichen vergelten sie

  1. Botta, Les Monuments de Ninive.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/316&oldid=- (Version vom 1.8.2018)