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groß in der Übertretung des Gesetzes. Ihr Resident hat ein Kanonenboot zu seiner Verfügung, und kurz vor unserer Anwesenheit hatte er noch eine ganze Ladung Altertümer darauf weggebracht.

M. Poignon leistete uns große Hilfe beim Ankauf babylonischer Altertümer. Die Kunst der Nachahmung solcher Antiquitäten steht auf der höchsten Stufe. Der Orientale ist zu solchen Arbeiten geschickt und besitzt außerdem die erforderliche Geduld dazu; deshalb gelingt es ihm auch, auf täuschende Weise Falsisikate anzufertigen oder nach Abdrücken „authentische“ Stücke herzustellen. Es bedurfte wirklich aller Anstrengung seitens Poignons, um uns vor dem Ankauf solcher „Altertümer“ zu bewahren.

Wir konnten eine große Zahl notarieller Verträge erwerben, worunter einige sind, die wohl ein Alter von 3000 Jahren haben. Diese Kontrakte sind nicht auf Papier oder Pergament geschrieben, sondern auf rechtwinkelige Ziegelsteine von den verschiedensten Größen. Der Akt wurde mit einem Stift auf dem rohen Ziegelstein eingegraben – eine wegen der Form der Keilschrift sehr leichte Arbeit; die Zeugen fügten auf die Kante des Steines den Abdruck ihres Siegels bei, wenn sie ein Siegel besaßen; waren sie aber zu arm, um sich ein Siegel aus hartem Stein zu beschaffen, so genügte auch der Abdruck des Daumens. Dann wurde der Akt dem Feuer übergeben und der Ziegel gebrannt. War dieses geschehen, so wurde der Ziegel aus dem Heuer geholt und mit einer dünnen Lage weicher Thonerde bedeckt, und nun wurde auf dieser äußeren Umhüllung der Inhalt des Kontraktes mit denselben Formalitäten wiederholt. Dann kam das Ganze – Ziegelstein mit Umhüllung – nochmals in das Feuer. Der Kontrakt war auf diese Weise in zwei Exemplaren hergestellt, ein unsichtbarer und weder durch Betrug noch auf eine andere Weise zu verändernder Text und ein äußerer, der zu jeder Zeit Auskunft geben konnte. Entstand nun irgend eine Streitigkeit, oder kam ein Verdacht an der Giltigkeit des Aktes auf, so zerbrach der Richter bloß die äußere Umhüllung und man konnte sich dann an den inneren Text halten, der keinerlei Veränderungen unterworfen war.

Für die Erzählung der historischen Begebenheiten oder der Gründung der Tempel und Paläste bediente man sich gewöhnlich der gebrannten Thonzylinder, die in Form kleiner Fäßchen angefertigt wurden. Sie wurden in einer Höhlung oder einem Schlupfwinkel in der Mauer eines Gebäudes angebracht, und dort werden sie ganz bestimmt von den Forschern gefunden.[1]

Man brachte uns einen solchen sehr gut erhaltenen Cylinder; M. Poignon erkannte sofort einen sehr wichtigen Inhalt des Textes. Es konnte unmöglich ein Falsifikat sein, denn von einem Abdruck war keine Spur zu entdecken. Er konnte sich aber nicht erklären, woher es kam, daß ein Stück von solchem Werte (der Eigentümer forderte 100 türkische Lire dafür) bis dahin nicht dem Konsulate präsentiert worden war. Nach längerem Suchen fand Poignon denselben Text in dem Werke Rawlinsons. Es war also doch ein Abguß, wenn auch sehr künstlich her gestellt; aber ohne den Text bei Rawlinson wären wir nicht dahinter gekommen. Der Händler gestand nun auch lachend die Fälschung ein; der Merkwürdigkeit

  1. Lenormand et Babelon, V. 140.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/350&oldid=- (Version vom 22.12.2020)