Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/371

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Steuern zu zahlen wie früher und auch nicht nach Belieben der Beamten Frondienste zu verrichten.

Dieser Punkt ist wichtig, denn die Erpressungen bilden die schwersten Steuern der türkischen Unterthanen. Von diesen Erpressungen ist bereits früher (Bohtan Seite 236) gesprochen worden. Auch hier werden dieselben Klagen, vielleicht in etwas milderer Form laut. An ein Aufblühen der Landwirtschaft ist gar nicht zu denken, denn der kleine Eigentümer wird von dem Beamten ausgesogen, und sobald er ein wenig zu reüssieren scheint, wird er buchstäblich aufs Trockene gesetzt. Die Großgrundbesitzer sind, wenn sie nicht zugleich politische Chefs eines mächtigen Klanes sind, nicht besser daran, denn sie haben größere Backhschichs zu zahlen als der gewöhnliche Mann. Und wenn man von dieser Seite wegen des großen Einflusses, den sie ausüben, etwas vorsichtiger verfährt mit dem Aussaugen, so haben doch die Großgrundbesitzer die Betrügereien ihrer Pächter dafür zu fürchten, die auf Kosten ihrer Lehnsherren wieder zu ergaunern suchen, was sie mit Unrecht den öffentlichen Beamten zu zahlen gezwungen sind.

Betreffs der großen, eingeborenen kurdischen oder arabischen Chefs ist zu bemerken, daß dieselben nur teilweise unter der türkischen Verwaltung stehen. Diese Verwaltung hat zwar eine telegraphische Linie in dem Herzen von Kurdistan errichten können, das ist etwas; aber um in diesen wilden Gebirgen die türkische Herrschaft fest zu begründen, giebt es nur ein Mittel: es müssen ordentliche Straßen hergestellt und durch befestigte Posten verteidigt werden, ferner müssen einige Brücken über den Tigris gebaut werden, um die Verbindung der beiden Ufer zu erleichtern. Zwischen Diarbekr und Mosul giebt es keine ordentliche Brücke – dafür ist die Brücke in Mosul, von der bereits die Rede war, aber auch ein Meisterwerk. – Es fehlt hier eine intelligente, ehrliche aber auch entschiedene Verwaltung, freilich so viele Bedingungen, so viele Unmöglichkeiten. wenn die Kurden es verständen, sich zu einigen und ein gemeinsames Oberhaupt zu erwählen, so könnten sie die Türken aus Kurdistan zurückwerfen, und der Wiedereintritt in das Land könnte den Türken sehr schwer fallen.

Die durch die Wüste verteidigten Araber können wirklich ihre Bedingungen der Regierung aufdrängen. In diesem Jahrhunderte haben sie Baghdad schon öfters gebrandschatzt.

Vor acht Jahren ungefähr wurde Sayhud, der Scheikh eines Stammes zwischen Amara und Korna es müde, unaufhörlich dem Mutessarif von Amara Backhschichs zu schicken, ohne zum Ziel seiner Wünsche zu kommen, und ergriff ein radikales Mittel; da er mit Uberzeugungen der türkischen Behörden nichts ausrichten konnte, so suchte er sie einzuschüchtern. Zunächst begann er den türkischen Dampfer zu beschießen. Da man darauf nicht sonderlich achtete, so mußte er stärker vorgehen. Eines schönen Tages legte er sechzig Mann seines Stammes bei einer scharfen Biegung des Flusses, die von dem großen englischen Dampfer schlecht umfahren werden konnte, in den Hinterhalt. Als der Kalifah vorbeifahren wollte, empfing ihn der Scheikh mit einem schrecklichen Gewehrfeuer und befahl den Sturm auf das Schiff. Der schwer verletzte Kapitän, der von seiner kopflosen Mannschaft verlassen war, hatte noch so viel Überlegung, um zum Rade zu eilen und das Schiff

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/371&oldid=- (Version vom 1.8.2018)